Neues aus Bayerland
"Krefeld. Über 67 Kilometer schlängeln sich die schwarzen Rohre durch das Erdreich am Niederrhein. Nur noch wenige Meter fehlen, bis die Pipeline das Bayer-Werk in Krefeld mit dem in Uerdingen verbindet. "Wir wollen die Leitung so schnell wie möglich in Betrieb nehmen", sagt Christian Zöller, Sprecher von Bayer Material Science.
Bayer sei nun entschlossen, seine Chance zu nutzen und vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht alle Zweifel an seiner Kohlenmonoxid-Pipeline ausräumen. Zuletzt sah es so aus, als könne das umstrittene Großprojekt scheitern: Ende Mai hatten die Düsseldorfer Richter eine einstweilige Verfügung auf sofortige Inbetriebnahme abgelehnt.
Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert", begründeten die Düsseldorfer Juristen ihre Ablehnung. Bayer hatte die Konstruktion noch einmal verändert: So sollen Schutzmatten im Erdreich schmaler als zunächst versprochen und die Rohre an einigen Stellen dünner als zugesagt sein.
"Technische Ungereimtheiten"
Durch das Rohr will Bayer Kohlenmonoxid (CO) pumpen. Anwohner versuchen seit Jahren, das Projekt zu verhindern. "Das Düsseldorfer Gerichtsurteil war ein beachtlicher Meilenstein für die Gegner", sagt Ursula Probst von der Bürgerinitiative Mut Hilden e.V. Seit zwei Jahren kämpft sie gegen das Rohr in der Nachbarschaft. "Es bedeutet eine riesige Gefahr für uns alle", sagt sie. "Es gibt eine Menge technischer Ungereimtheiten." Die Leitung könne sabotiert werden, sie rostet schnell, die Schweißnähte könnten leck schlagen.
Sie fürchtet sich vor dem unsichtbaren aber tödlichen Gas, das unter ihrer Wohnsiedlung strömt. Probst ist nicht alleine: Tausende Anwohner wurden in den vergangenen Monaten aktiv. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Mahnwache stattfindet oder Politiker aufs Podium gebeten werden.
Lokale Politik schwenkt um
Vielleicht ist es auch die Tücke des Gases, das die Bürger so aktiv werden lässt. Es ist unsichtbar, geruchlos und ein lebensgefährliches Gift. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft klassifiziert Kohlenmonoxid als sehr gefährlich ein: Wenn CO eingeatmet wird, verdrängt es den Sauerstoff im Blut. Die Betroffenen klagen zunächst über Kopfschmerzen, später werden sie bewusstlos und können ersticken.
Inzwischen, auch unter dem Druck der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl am 30. August, sprechen sich die lokalen Politiker alle gegen das Projekt aus. Für Bayer und die zuständige Düsseldorfer Bezirksregierung ist es hingegen ein "industriepolitisch wichtiges Projekt."
Es garantiere den reibungslosen Betriebsablauf für die Kunststoffproduktion in Nordrhein-Westfalen, so Bayer-Sprecher Zöller. Weil der Konzern mit dem Kohlenmonoxid und seinen Endprodukten weitere Firmen beliefere an denen tausende Arbeitsplätze hingen, sei der Bau "dem Gemeinwohl" dienlich.
Doch selbst die Landespolitik nimmt inzwischen Abstand von dem Großprojekt. Politiker aller damals vertretenen vier Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag hatten die Brisanz der Röhre zunächst verschlafen. Als das "Enteignungsgesetz" am 15. Dezember 2005 zu später Stunde beschlossen wurde, stimmten alle mit Ja.
"Und entgegen der lokalen Bürgermeister hält das CDU-geführte Wirtschaftsministerium weiterhin an der Pipeline fest. Es hat im Juni eine "Allianz-pro-Industrie" gegründet, die sich ausdrücklich auch auf die Reaktionen auf die Pipeline bezieht. "Mit tiefer Sorge beobachten wir zunehmende lokale und regionale Widerstände gegen Infrastrukturprojekte und Produktionsanlagen", heißt es dort.
Gericht hört Experten
Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Johannes Remmel, sagt: "Das sture Festhalten an der Pipeline ist ein Irrweg". Angesichts der jüngsten Niederlage vor Gericht und dem großen Widerstand der Bevölkerung sei es absolut unvernünftig, wenn Bayer nun einen jahrelangen Gerichtsweg beschreiten wolle.
Allerdings wird es wohl genau dazu kommen: In der Hauptverhandlung vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht werden nun zum ersten Mal zahlreiche Experten und Gutachter befragt, bevor dann voraussichtlich erst Ende des Jahres ein Urteil fallen wird. Und auch gegen dieses kann die Verlierer-Seite dann vor dem Oberverwaltungsgericht in Berufung ziehen. Bis dahin liegen 67 Kilometer leere Röhren in der Erde."
http://www.fr-online.de/top_news/1819872_Bayer-Pipeline-Anwohner-fuerchten-toedliches-Gas.html