Was ist Zeit?

Was ist Zeit?

Beitragvon mirijam » Freitag 4. März 2011, 22:33

"„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“, sagte einmal der Physiker Albert Einstein. Was auf den ersten Blick ähnlich aussagekräftig klingt wie „Der Ball ist rund“, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ganz und gar nicht trivial. Der geniale Einstein hat schließlich mit seiner Relativitätstheorie unser Verständnis von Zeit revolutioniert. Demnach gibt es eben keine absolute Zeit. Ob zwei Ereignisse an zwei unterschiedlichen Orten gleichzeitig waren oder nicht, lässt sich nicht universell und objektiv beantworten. Diese Beurteilung hängt vielmehr vom jeweiligen Betrachter ab. Und dieser kann stets nur mit der Zeit argumentieren, die er an seiner Uhr ablesen kann.

Für verschiedene Beobachter vergeht die Zeit unterschiedlich schnell
Es geht hier wohlgemerkt nicht um die technische Genauigkeit von Uhren. Selbst bei absolut perfekten Zeitmessern folgt aus der speziellen Relativitätstheorie, dass für verschiedene Beobachter die Zeit unterschiedlich schnell vergeht – abhängig davon, mit welcher Geschwindigkeit sie sich durch den Raum bewegen. Die hat unter anderem zur Folge, dass zwei eineiige Zwillinge unterschiedlich schnell altern, wenn sie mit verschiedenen Geschwindigkeiten durch das Weltall rasen. Verlässt der eine Zwilling die Erde und fliegt einige Zeit mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch das All, so ist er nach seiner Rückkehr zur Erde jünger als sein Zwillingsbruder.

Dieses sogenannte Zwillingsparadoxon klang für die meisten Zeitgenossen Einsteins und selbst viele Physiker so absurd, dass seine Theorie zunächst als barer Unsinn oder gar Ausdruck „entarteten Denkens“ abgestempelt wurde. Die einsteinsche Relativierung des Zeitbegriffs scheint dem sogenannten gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Doch diese fantastischen Aussagen leiten sich schlicht aus der inzwischen experimentell bewiesenen Tatsache ab, dass die Lichtgeschwindigkeit unter allen Umständen – unabhängig von der Geschwindigkeit des Bezugssystems – immer und überall den gleichen Wert hat.

Atomuhren können Relativität der Zeit beweisen
Die heute verfügbaren Uhren sind so genau, dass sich mit ihnen die Relativität der Zeit auch direkt beweisen lässt. Man nehme zwei Atomuhren und synchronisiere sie, sodass sie exakt die gleiche Zeit anzeigen. Dann packe man die eine Uhr in einen Kampfjet, der einige Stunden durch die Lüfte rast. Die andere Uhr bleibt auf dem Flugplatz am Erdboden zurück. Nach der Rückkehr des Jets vergleicht man die Displays der beiden Uhren. Und siehe da – sie zeigen nicht mehr die gleiche Zeit. Die Uhr aus dem Jet ist ein bisschen langsamer gelaufen! Einstein hatte also recht, und sein Satz „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“ klingt vor diesem Hintergrund nicht mehr banal, sondern wirklich tiefsinnig.

Doch damit nicht genug. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie hat Einstein unser gemütliches Bild von der einfach so dahinfließenden Zeit dann endgültig zerstört. Demnach ist die Zeit keine unabhängige physikalische Größe, sondern unauflöslich mit dem Raum und den darin befindlichen Massen verbandelt. Physiker sprechen deshalb von einer vierdimensionalen Raumzeit.

Was sehr abstrakt klingt, lässt sich mit einem Beispiel veranschaulichen. Wie schnell die Zeit vergeht, hängt von der Stärke des Gravitationsfeldes ab, das wiederum von der Materie im Raum verursacht wird. Die Erde etwa hat ein Gravitationsfeld. Je weiter wir uns vom Erdboden in die Lüfte erheben, umso geringer wirkt die Schwerkraft, weil ja die Distanz zum Erdmittelpunkt größer wird. Experimente mit extremer Messgenauigkeit haben just in diesem Jahr gezeigt, dass eine Uhr, die nur eine Treppenstufe höher steht als eine andere, ebenso gute Uhr, tatsächlich ein wenig langsamer geht – genau so, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt.

Übrigens: Da die GPS-Satelliten einerseits mit hoher Geschwindigkeit um die Erde fliegen und andererseits in recht großen Höhen, muss sowohl die Spezielle als auch die Allgemeine Relativitätstheorie berücksichtigt werden, damit das Navigationsgerät die richtigen Positionen berechnen kann.

Vor dem Urknall hat Zeit nicht existiert
In jedem Navi steckt also eine große Portion Einstein und damit das Eingeständnis: Es gibt keine absolute Zeit. Aus der Verkopplung von Zeit und Raum folgt auch, dass es vor dem Urknall keine Zeit gegeben haben kann. Sie wurde gemeinsam mit dem Raum geboren und kann gar nicht unabhängig von ihm existieren.

Auch die Quantenphysik hat das heutige Bild von der Natur der Zeit weiter verfeinert. So wie Energie und Materie stets nur in Vielfachen sogenannter Quanten – und eben nicht kontinuierlich – auftreten können, so folgt aus dem Theoriengebäude der modernen Physik auch, dass die Zeit in Portionen voranschreitet. Es gibt demnach eine kürzeste Zeitspanne, die sogenannte Planck-Zeit von unvorstellbaren 10-43 Sekunden. Unterhalb dieses extrem kleinen Zeitintervalls verlieren die physikalischen Gesetze ihre Gültigkeit.

Die vielleicht erstaunlichste Eigenschaft der Zeit ist allerdings, dass sie offenbar stets nur in eine Richtung zu laufen scheint – von der Vergangenheit über den Moment im Jetzt hin zur Zukunft. Dabei sind alle Naturgesetze, sowohl in der klassischen Physik als auch innerhalb der Relativitätstheorie und der Quantenphysik bezüglich der Zeit symmetrisch.

Das heißt: Es gibt so gesehen keinen Grund, warum die Zeit immer nur in eine Richtung fortschreiten sollte. Warum hat also noch niemand beobachtet, dass die Zeit rückwärts gelaufen wäre und sich beispielsweise Kaffee und Milch in einer Tasse wieder entmischt hätten?

Ein einziges Naturgesetz ist daran schuld – der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Er besagt, dass alle Vorgänge immer nur so ablaufen können, dass dabei die „Unordnung“ größer und niemals kleiner wird. Den Begriff „Unordnung“ wissenschaftlich präzise zu definieren ist nicht einfach, und die Physiker haben dafür vorsichtshalber das wohlklingende Wort Entropie eingeführt. Es ist also die stets wachsende Entropie, die der Zeit einen eindeutigen Richtungspfeil aufzwingt. Schade eigentlich, denn Zeitreisen in die Vergangenheit wären ja – wie die reichhaltige Literatur zu diesem Thema eindrücklich beweist – eine wirklich spannende Sache.

Doch das letzte Wort in dieser Sache ist wissenschaftlich noch nicht gesprochen. Die Natur der Zeit ist auch nach vielen Jahren der Forschung keinesfalls vollständig entschlüsselt, und es gibt Theorien über kosmische Wurmlöcher und Paralleluniversen, die möglicherweise physikalische Hintertüren für Zeitreisen öffnen könnten. So oder so bleibt jedenfalls auch in Zukunft noch viel Zeit zum Philosophieren – über die Zeit."

http://www.welt.de/wissenschaft/article11030782/Sind-Zeitreisen-in-die-Vergangenheit-moeglich.html
mirijam
 

Was ist Zeit?

Beitragvon Leckermäulchen » Samstag 5. März 2011, 11:48

Danke Mirijam für das hochinteressante Fundstück. Auch ich und meine Familie, wir haben uns vor Jahrzehnten schon mit dem Thema in der Form beschäftigt. Es ist echt spannend und offenbar zeitlos...
Leckermäulchen
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Beitragvon mirijam » Samstag 5. März 2011, 22:26

Freut mich, Leckermäulchen. Ich habe mich schon als Kind für solche Themen interessiert. Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass die Zeit unterschiedlich schnell läuft. In Träumen z. B. hat man das Gefühl, es sei viel Zeit vergangen, doch nach dem Aufwachen stellt man oft fest, dass man nur kurz eingeschlafen war und geträumt hat. Deshalb habe ich mich schon gefragt, ob Träume vielleicht Zeitreisen sind.

Auf jeden Fall gibt es noch viel zu entdecken für die Wissenschaft. Die Physik entwickelt sich immer rasanter. Als Kind träumte ich davon, in einem Raumschiff fliegen zu dürfen. Merkwürdiger Wunsch, denn damals war die Raumfahrt noch am Anfang.
mirijam
 


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