Neues Leben vom Reißbrett?
So schnell kann es gehen...
Dr. Petra Plößer
November 2003 - Ein künstliches Virus in zwei Wochen? Kein Problem für Craig Venter. Bekanntgeworden durch die Entschlüsselung des menschliche Erbguts - hat der „Sequenzierpapst“ Venter es wieder einmal geschafft, die Welt in Staunen zu versetzen.
Übersicht
Was sind Bakteriophagen?
Phi-X174 bereits 1978 sequenziert
Rasend schnell mit „PCA“
Nicht das erste künstlich geschaffene Virus
Zukunftsvisionen
Kommentar
Am Institute for Biological Energy Alternatives (IBEA) in Rockville (Maryland, USA) hat ein Forscherteam um den berühmten Genetiker in nur 14 Tagen den Bakteriophagen Phi-X174 zusammengebaut. Noch weiß niemand, ob das Ergebnis von Venters neuester Forschungsarbeit als grandios oder erschreckend zu beurteilen ist. Auf jeden Fall ist sie revolutionär.
Was sind Bakteriophagen?
Bakteriophagen sind Viren, die in Bakterien eindringen, sich dort vermehren und dann ihr Wirtsbakterium lysieren. Das genetische Material (Genom) dieser Phagen ist entweder doppelsträngige DNA, einzelsträngige DNA oder RNA und ist in einer Proteinhülle verpackt. Das Phagen-Genom enthält alle Informationen, die für die Vermehrung und den Zusammenbau neuer Phagen in der Wirtszelle notwendig sind. Die Proteinhülle hilft den Bakteriophagen, geeignete Wirtsbakterien zu erkennen. Ist eine entsprechende Zelle gefunden, dockt der Bakteriophage an und injiziert sein Genom in die Wirtszelle. Dort vermehrt sich das Viren-Erbgut erneut. Am Ende werden wieder viele neue Phagen freigesetzt.
Bakteriophagen
(Bildquelle: Taschenatlas der Biochemie von Koolman und Röhm)
Phi-X174 bereits 1978 sequenziert
Der Bakteriophage Phi-X174 ist keinesfalls neu auf unserem Planeten. Bekannt ist der Bakteriophage seit mehr als einem halben Jahrhundert. Sein 5386 Basenpaare großes Genom wurde bereits 1978 durch niemand Geringeren als Fred Sanger sequenziert, dem „Vater“ der DNA-Sequenzierung. Doch spätestens seit dem 13. November 2003 ist Phi-X174 zu einem Meilenstein in der Genforschung geworden.
Rasend schnell mit „PCA“
Die Bedeutung von Venters Pionierarbeit ist darin zu sehen, dass er in brillanter Art und Weise bereits gängige Labor-Methoden mit neuen Ideen verknüpfte, um innerhalb kürzester Zeit künstliche Viren zu erzeugen.
• Dazu synthetisierte Venters Team zunächst kurze einzelsträngige DNA-Stücke (Oligonukleotide), die dieselbe Basenabfolge wie das Phagen-Genom zeigten. Durch eine enzymatische Reaktion verknüpften sie die Oligonukleotide zu längeren DNA-Stücken und zwar so, dass deren Basenabfolge immer noch mit der Phagen-DNA übereinstimmte.
• Mit Hilfe der „polymerase cycle assembly“ (PCA) produzierten sie dann aus den verlängerten Oligonukleotiden das komplette Phagen-Genom. Die PCA ist eine abgewandelte Form der „polymerase chain reaction“ (PCR). Sie wird aber - anders als bei der PCR - nicht eingesetzt, um bestimmte DNA-Abschnitte zu vervielfältigen, sondern dient dazu, aus den sich überlappenden Oligonukleotiden das gesamte doppelsträngige Phagen-Genom herzustellen.
• Die PCA funktioniert folgendermaßen:
In jedem Zyklus der PCA lagern sich einzelsträngige Oligonukleotide, die sich in ihrer DNA-Sequenz überlappen, aneinander.Wenn nun eines der Oligonukleotide an seinem 3`-Ende kürzer ist als sein angelagertes „Gegenüber“, wird es durch eine enzymatische Reaktion verlängert, wobei das „Gegenüber“ als Matritze verwendet wird.
Es entsteht doppelsträngige DNA, die dann im nächsten Zyklus wieder in die beiden Einzelstränge aufgeschmolzen wird. Es finden sich erneut zwei überlappende Oligonukeotide zusammen und das Spiel beginnt von vorne.
Die DNA-Stränge werden so lange erweitert, bis sie ihre vollständige Länge erreicht haben bzw. nicht mehr verlängert werden können, was im Fall von Phi-X174 bedeutete, dass das Phagen-Genom dann komplett vorlag.
Beladung von Agarosegelen für die Auftrennung von DNA
• Im Anschluss an die PCA vervielfältigte Venters Team die Phagen-DNA durch PCR, um möglichst große Mengen für die nachfolgenden Versuche zur Verfügung zu haben. Da aber das Phagen-Genom immer noch als DNA-Strang vorlag, überführten sie anschließend die synthetisierte DNA in die zirkuläre Form. Genau so wie sie in Phi-X174 üblicherweise zu finden ist.
• Die Infektionsfähigkeit des künstlich erzeugten Genoms ermittelten sie, indem sie die Phi-X174-DNA in Bakterienzellen einschleusten. Bereits nach einem Tag zeigte sich, dass sie in der Lage war, neue Phagen zu produzieren und ihre Wirtsbakterien zu zerstören.
Details der Vorgehensweise und Ergebnisse dieser Arbeit wurden Anfang Dezember in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht:
http://www.pnas.org/
Nicht das erste künstlich geschaffene Virus
Phi-X174 ist aber nicht das erste künstliche Virus, das im Labor das Licht der Welt erblickte. Letztes Jahr sorgte der Virologe Eckart Wimmer von der State University of New York für weltweite Aufregung:
Seine Arbeitsgruppe produzierte ein infektiöses Poliovirus, den Erreger der Kinderlähmung. Das Genom des Poliovirus besteht aus RNA und ist über öffentliche Datenbanken frei erhältlich. Wimmer`s Arbeitsgruppe baute das bekannte Virus-Genom zunächst in DNA-Form nach und ließ es dann von einem Enzym in die RNA-Form übersetzen. Die RNA - einmal in Zellen eingebracht - führte zur Herstellung infektiöser Viren. Anders als Venters Team benötigte Wimmer drei Jahre. Trotzdem löste seine Arbeit viele Diskussionen aus. Denn es macht deutlich, wie einfach solche Erreger produziert werden können. Im Zeitalter des Bioterrors schürt diese Erkenntnis viele Ängste.
Die Überlegungen vieler Forscher und wissenschaftlicher Organisationen gehen so weit, dass Gen-Sequenzen oder Forschungsarbeiten derart brisanter Organismen nicht mehr über das Internet veröffentlicht werden sollten.
DNA-Sequenzen
Zukunftsvisionen
Venter hat der Welt gezeigt, dass er im Eiltempo einen Virus kreieren kann. Doch das ist erst der Anfang. Seine Pläne gehen weiter.
Mit der Herstellung des Bakteriophagen Phi-X174 hatte Venter leichtes Spiel. Denn die Phagen-DNA ist an sich schon infektiös und benötigt keine Proteinhülle. Einmal in eine Bakterienzelle eingebracht, organisiert das Genom den Zusammenbau komplett ausgestatteter Phagen mitsamt Hülle. Viren verfügen auch über keinen eigenen Stoffwechsel, sondern machen sich die zelluläre Maschinerie ihres Wirtes zu eigen. Obgleich Viren viele Eigenschaften besitzen, die das Leben auszeichnen, werden sie nicht zu den Lebewesen gezählt.
Venter plant aber, künstliche Bakterien herzustellen und das bedarf größerer Anstrengungen. Denn Bakterien benötigen eine Zellmembran aus Phospolipiden, verfügen fast ausschließlich über eine Zellwand und haben einen eigenen Stoffwechsel.
Diese künstlichen Bakterien sollen für den Menschen nützliche Funktionen erfüllen. In den Bereichen Umwelt und Energie bieten sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Abwasser und verschmutzte Gewässer ließen sich durch Mikroorganismen reinigen. Im Emissionskontrollsystem von Kraftwerken könnten spezielle Bakterien die Freisetzung von Kohlendioxid reduzieren. Indem sie Wasserstoff produzierten, würden sie zur Energieversorgung beitragen.
In der Medizin könnten Antibiotika-resistente Bakterien mit Hilfe einer „Phagen-Therapie“ behandelt werden. Impfstoffe auf DNA-Basis, die derzeit noch in der Testphase sind, könnten verbessert und auch beim Menschen eingesetzt werden.
Doch das sind alles noch Zukunftsträume und die haben nicht nur positive Aspekte.
Denn auch die vielgepriesene Gentherapie hat bisher nicht zum entscheidenden Durchbruch geführt. Erst im Oktober haben britische Wissenschaftler herausgefunden, warum eine bahnbrechende Gentherapie bei zwei der behandelten Kinder Leukämie ausgelöst hatte. Das fehlerhafte Gen, das für die Immunschwäche X-Scid verantwortlich ist, konnte zwar erfolgreich repariert werden, doch das implantierte Gen hatte auch Auswirkungen auf das benachbarte Gen LMO2. Durch die Aktivierung dieses Gens wurde bei den beiden Kindern Leukämie ausgelöst. Dieses Beispiel zeigt, wie sensibel das menschliche Genom auf derartige Veränderungen reagiert.
Außerdem gibt es immer wieder das Schreckensszenario, dass sich Terroristen diese Methoden zunutze machen könnten und die Welt mit neuen bisher unbekannten Biowaffen bedrohen.
Kommentar
Neue Technologien sind durchaus zu begrüßen. Sie schaffen neue Perspektiven und erweitern das Spektrum menschlichen Handelns. Doch sie können auch gleichzeitig Gefahren bergen, die vielleicht heute noch nicht absehbar sind.
Denn was würde passieren, wenn fremde DNA-Material zur Bekämpfung antibiotika-resistenter Bakterienstämme oder als DNA-Impfstoff in den Menschen eingebracht wird? Wenn diese DNA in das menschliche Genom eingebaut werden würde, welche unmittelbaren Veränderungen würden im Körper geschehen oder welche Folgen hätte dies auf spätere Generationen?
Mikroorganismen lassen sich auch nicht steuern wie Maschinen. Sie sind einer stetigen Entwicklung unterworfen und passen sich den äußeren Umständen an. Und wir wissen immer noch viel zu wenig über ihre komplexen Stoffwechselwege. Wie sollen diese künstlich geschaffenen Mikroorganismen dauerhaft kontrolliert werden, damit nicht alles aus dem Ruder läuft?
Künstliche Organismen könnten das natürliche Gleichgewicht durcheinanderbringen. Verschiedene Ökosysteme werden bereits gestört, wenn sich fremde aus anderen Kontinenten eingeschleppte Pflanzen und Tiere ansiedeln. Da diese Lebewesen in ihrer neuen Umgebung keine natürlichen Feinde haben, breiten sie sich hemmungslos aus und bedrohen die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Und diese Lebewesen sind keineswegs künstlich erzeugt worden.
In Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ hieß es: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“. Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Die Entwicklung solcher Methoden sollte kontrolliert und diskutiert werden. Doch auch Wissenschaftler sollten eine gewisse Verantwortung übernehmen. Sie sollten wohlüberlegt und mit Verstand Forschung betreiben. Allem Eifer und aller Neugier zum Trotz sollten sie die Risiken und möglichen Folgen ihrer Arbeit nicht außer Acht lassen und verantwortungsbewusst handeln.
Gefunden bei
http://www.thieme.de/viamedici/medizin/wissenschaft/virus.html