"Mein Fuß muss immer rausgucken "

Im Sommer 2009 hat der Bundestag ein Gesetz zur Wirksamkeit von Patientenverfügungen verabschiedet. Dr. Angelika Zegelin vom Institut für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke sieht auf diesem Gebiet aber trotzdem weiter Nachholbedarf und bemängelt, dass mit den vorhandenen Vordrucken für Patientenverfügungen zu wenig auf die tatsächliche Lebenssituation eingegangen wird
Angelika Zegelin
Mein Fuß muss immer rausgucken – persönliche Anmerkungen zur
Patientenverfügung
Für mich wäre es eine Körperverletzung, wenn meine Füße „gut eingepackt“, gar mit einer
Decke eingeschlagen würden, ich könnte keine Ruhe finden. Solange ich mich erinnern kann,
musste mindestens ein Fuß aus der Zudecke herausgucken, ich stelle mir reichlich irrational
vor, dass mein Fuß atmet.
Der atmende Fuß ermöglicht für mich eine Kontrasterfahrung, die Lebensqualität bedeutet.
Gleichzeitig verstecke ich mich aber gern unter Deckengebirgen, brauche viel Platz. Ich bin
ein „Bettwühler“, wechsele sehr oft meine Lage und knülle das Kopfkissen herum – in
Pflegesituationen wäre ich sicher „lagerungsunfähig“. Ich liege meist halb bäuchlings, das
oben liegende Bein angewinkelt. Links schnarche ich, wenn ich auf meiner rechten Seite
liege, geht es. Ich hülle mich gerne in Flanell-Nachthemden ein, Schlafanzüge anziehen zu
müssen wären für mich Ausübung körperlicher Gewalt.......
Ich wundere mich immer darüber, dass in den Vorlagen zu Patientenverfügungen stets die
großen Entwürfe vorgestellt werden, welches Menschenbild jemand hat, welchen Blick auf
die Welt, ob eine „künstliche Niere“ verordnet werden darf oder die Beatmung abgestellt
werden soll – seltsam, für mich zeitigen sich meine Wünsche und Erfahrungen in der
Ansammlung täglicher Kleinigkeiten.......
So ist es für mich unerlässlich, alle drei bis vier Tage einige Härchen am Kinn auszuzupfen,
wenn dies nicht geschieht, vielleicht auch noch verbunden mit fettigen Kopfhaaren…
unvorstellbar.
Ich habe eine empfindliche Haut, auf vieles reagiere ich allergisch. In den Sommermonaten
habe ich wegen einer Nickelallergie immer mit wunden Händen und Füßen zu kämpfen. Die
Nägel schneide ich mir oft und immer sehr kurz – ich könnte es überhaupt nicht aushalten,
wenn ich auf Hilfe angewiesen wäre und meine Nägel nicht alle paar Tage geschnitten
würden.......
Wie soll ich all das schriftlich niederlegen?
Die üblichen Patientenverfügungen gehen offensichtlich davon aus, dass jemand kurz vor
seinem Tod plötzlich umfällt und seine letzten Tage auf der Intensivstation verbringt. Das ist
ziemlich unrealistisch. In vielen Fällen entstehen akute Phasen aus Zeiten der
Pflegebedürftigkeit heraus. Bisher habe ich noch keinen Vorschlag einer Patientenverfügung
gefunden, der dies berücksichtigen würde. In größeren Abständen sehe ich mir die Vorschläge
im Internet an, von A wie Aidshilfe bis Z wie Zeugen Jehovas sind Formulare verfügbar, jede
Vereinigung, jede religiöse Richtung, jeder Wohlfahrtsverband hat seine Vorstellungen
eingearbeitet. In der letzten Zeit bin ich erschrocken über die Kommerzialisierung der
Angebote,.....
http://www.uni-wh.de/fileadmin/media/g/pflege/institut/Patientenverf%C3%BCgung.pdf
http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/patientenverfuegung-von-dr-angelika-zegelin/">http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/patientenverfuegung-von-dr-angelika-zegelin/
http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/
Angelika Zegelin
Mein Fuß muss immer rausgucken – persönliche Anmerkungen zur
Patientenverfügung
Für mich wäre es eine Körperverletzung, wenn meine Füße „gut eingepackt“, gar mit einer
Decke eingeschlagen würden, ich könnte keine Ruhe finden. Solange ich mich erinnern kann,
musste mindestens ein Fuß aus der Zudecke herausgucken, ich stelle mir reichlich irrational
vor, dass mein Fuß atmet.
Der atmende Fuß ermöglicht für mich eine Kontrasterfahrung, die Lebensqualität bedeutet.
Gleichzeitig verstecke ich mich aber gern unter Deckengebirgen, brauche viel Platz. Ich bin
ein „Bettwühler“, wechsele sehr oft meine Lage und knülle das Kopfkissen herum – in
Pflegesituationen wäre ich sicher „lagerungsunfähig“. Ich liege meist halb bäuchlings, das
oben liegende Bein angewinkelt. Links schnarche ich, wenn ich auf meiner rechten Seite
liege, geht es. Ich hülle mich gerne in Flanell-Nachthemden ein, Schlafanzüge anziehen zu
müssen wären für mich Ausübung körperlicher Gewalt.......
Ich wundere mich immer darüber, dass in den Vorlagen zu Patientenverfügungen stets die
großen Entwürfe vorgestellt werden, welches Menschenbild jemand hat, welchen Blick auf
die Welt, ob eine „künstliche Niere“ verordnet werden darf oder die Beatmung abgestellt
werden soll – seltsam, für mich zeitigen sich meine Wünsche und Erfahrungen in der
Ansammlung täglicher Kleinigkeiten.......
So ist es für mich unerlässlich, alle drei bis vier Tage einige Härchen am Kinn auszuzupfen,
wenn dies nicht geschieht, vielleicht auch noch verbunden mit fettigen Kopfhaaren…
unvorstellbar.
Ich habe eine empfindliche Haut, auf vieles reagiere ich allergisch. In den Sommermonaten
habe ich wegen einer Nickelallergie immer mit wunden Händen und Füßen zu kämpfen. Die
Nägel schneide ich mir oft und immer sehr kurz – ich könnte es überhaupt nicht aushalten,
wenn ich auf Hilfe angewiesen wäre und meine Nägel nicht alle paar Tage geschnitten
würden.......
Wie soll ich all das schriftlich niederlegen?
Die üblichen Patientenverfügungen gehen offensichtlich davon aus, dass jemand kurz vor
seinem Tod plötzlich umfällt und seine letzten Tage auf der Intensivstation verbringt. Das ist
ziemlich unrealistisch. In vielen Fällen entstehen akute Phasen aus Zeiten der
Pflegebedürftigkeit heraus. Bisher habe ich noch keinen Vorschlag einer Patientenverfügung
gefunden, der dies berücksichtigen würde. In größeren Abständen sehe ich mir die Vorschläge
im Internet an, von A wie Aidshilfe bis Z wie Zeugen Jehovas sind Formulare verfügbar, jede
Vereinigung, jede religiöse Richtung, jeder Wohlfahrtsverband hat seine Vorstellungen
eingearbeitet. In der letzten Zeit bin ich erschrocken über die Kommerzialisierung der
Angebote,.....
http://www.uni-wh.de/fileadmin/media/g/pflege/institut/Patientenverf%C3%BCgung.pdf
http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/patientenverfuegung-von-dr-angelika-zegelin/">http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/patientenverfuegung-von-dr-angelika-zegelin/
http://www.uni-wh.de/gesundheit/pflegewissenschaft/department-pflegewissenschaft/patientenverfuegung/