 von Amazone » Freitag 27. Januar 2012, 20:34
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			Ich wäre mit solchen Aussagen vorsichtig.
Bereits der Urvater der Toxikologie Louis Lewin schrieb:
Individualismus und Giftwirkung.
In Tieren und Menschen findet man eigenartige Veranlagungen, die schon in 'der 
Verschiedenheit der normalen physiologischen Verrichtungen zutage treten. 
Kaum eine Funktion von Körperorganen, von der Gehirn und 
Rückenmarkstätigkeit an bis zu der Arbeit der Drüsen, der Assimilation von 
Nahrung, den allgemeinen Stoffwechselvorgängen, der Bewegung innerer 
Organe, der Kraftentfaltung muskulöser Teile, vollzieht sich bei verschiedenen 
Lebewesen in gleich starker Weise. Diesen Verschiedenheiten in der Höhe 
physiologischer Leistung gleichzustellen sind diejenigen der reaktiven 
Äußerungen auf körperfremde Einflüsse. Nichts hat, von der ältesten Zeit bis 
heute, biologisch Ärzte und Laien so in Staunen gesetzt, wie die Tatsache, daß 
Krankheitsursachen, einschließlich der Gifte, einen so verschiedenartigen 
Resonanzboden bei dem einzelnen Menschen und Tier finden. Bei gewissen 
Individuen ist eben die reaktive Kraft der Gifte unter sonst gleichen Verhältnissen 
kleiner oder größer als bei anderen, oder bricht sich an einer bestimmten eigenartigen 
Organisation des Betroffenen.
Welch langes Register würde es werden, wollte ich allein hier aufzählen, was mir 
an vielgradiger Toleranz oder abnormer Empfindlichkeit von Tieren und 
Menschen gegen Gifte bekannt ist. Weit unten im Tierreiche müßte man 
beginnen, und hoch hinauf bis zu Menschen muß man gehen, um eine Schätzung 
dieser so eigentümlichen Verhältnisse zu gewinnen. Jahrelanger Arbeit hat es 
bedurft, um nur erst auf diesem verhältnismäßig so kleinen biologischen Gebiete 
das Tatsachenmaterial, so gut es ging, festzustellen. Aber schon das, was wir 
darüber wissen, ist so eigenartig, daß man es als wunderbar bezeichnen kann.[...]
 
S.25ff.
[...]
Und nun gar das Verhalten gewisser Menschen gegen Gifte, und 
zwar gegen solche, an die sie ihren Körper nicht haben gewöhnen können, die 
vielleicht zum ersten Male von ihnen aufgenommen werden. In jedem Teil ist das 
vieltausendfältige Tatsachenmaterial der Nichtempfindlichkeit, Unter- oder 
Überempfindlichkeit von Menschen gegen Gifte ein absolutes Rätsel, genau so 
wie es rätselhaft ist, warum der eine durch seelische Eindrücke kaum oder 
wenig berührt wird, die bei einem anderen starke Erschütterung, Geisteskrankheit 
oder Tod veranlassen. Diese individuellen Reaktionsarten sind ihrem Wesen 
nach heute noch so ein Mysterium, wie sie alten Forschern erschienen. Nicht der 
kleinste Lichtstrahl ist in dieses Dunkel bisher zu bringen gewesen. Auch das 
beste Nachdenken vermag nicht den Pfad zur Erkenntnis zu finden, warum 
winzige Mengen von I p e c a c u a n h a s t a u b in der Luft bei e i n e m 
Menschen unangenehme Gesichtsschwellungen machen und demgegenüber 
Arbeiter, die die Droge in großen Mengen pulvern und massig den Staub an und 
in ihren Körper bekommen, freibleiben. Oder 
gar, warum die meisten Menschen durch die Berührung, einige sogar durch 
irgend etwas, was von R h u s t o x i c o d e n d r o n bei Windbewegung durch 
die Luft fortgehen kann, eine unangenehme und evtl. langwierige Hautkrankheit 
bekommen, andere aber nicht nur ungestraft die Pflanzen berühren, sondern sie 
sogar kauen, oder ihren Saft sich in das Auge bringen können? Oder warum sich 
besondere Individualitäten dem Teer an der Haut oder dem Chinin oder Arsen, 
oder Quecksilber oder hunderten von anderen Stoffen gegenüber ähnlich, d. h. 
von hoher Toleranz bis zu unerträglicher Empfindlichkeit verhalten. 
 
 
Es erstreckt sich dies allgemein wohl auf alle chemischen Stoffe, einschließlich der 
Nahrungsmittel, Duftund kosmetische Substanzen, z. B. Himbeeren, Erdbeeren, 
Krebse, Käse, Schweinefleisch, Rosen-, Veilchen-, Lilienduft. Es gibt zweifellos 
für jedes Individuum eine persönliche toxische Gleichung. Die Konstatierung 
einer solchen Anders- oder Überempfindlichkeit (Idiosynkrasie) - wofür auch 
das nichtssagende Wort Anaphylaxie erfunden wurde -- ist für forensische Fälle, 
namentlich da, wo Ärzte als Angeschuldigte sich zu verteidigen haben, beson-
ders notwendig. Andererseits gibt es Menschen, die in gewissen Grenzen gegen 
manche, zumal narkotische Gifte, in bezug selbst auf größere als die üblichen 
Dosen sich stark tolerant verhalten (Bromäthyl. Morphin). Auch Delirierende 
können große Mengen von Nareoticis (Opium, Chloralhydrat) vertragen.
Die Verschiedenartigkeit der Wirkungsäußerung chemischer Stoffe bei 
verschiedenen Lebewesen ist auf Unterschiede in der reaktiven Zellenenergetik 
zurückzuführen, die die Alten Lebenskraft nannten. Sie bringt auch zuwege, daß 
Störungen durch Gifte bei dem einen nur leichte, bald wieder ausgeglichene 
Eindrücke machen, bei anderen dagegen tief gehen und schwere, langwierige 
Nachleiden erzeugen. .,1 Das Unfaßliche wird auf diesem Gebiet zum Ereignis, 
daß z. B. von zwei Menschen, die in dem gleichen Raume dem Kohlenoxyd 
ausgesetzt sind, der eine leicht erkrankt, der andere aber stirbt oder mit einem oft 
unheilbaren Gebirnleiden oder einer Lungenentzündung dem Gifte den Tribut 
zahlt.
So wirkt sich, bei allen Menschen erkennbar, die Veranlagung in besonderen 
Gestaltungen aus. Sie wirkt und ist doch in allen ihren Teilen ein Geheimnis. Sie 
unterschätzen kann verhängnisvoll werden, ihre große Bedeutung leugnen ist ein 
Zeichen medizinischer Unbildung, in ihrem Wesen sie zu erklären, wird nie 
einem Sterblichen gegeben sein. Sie stellt eine Gleichung mit so vielen 
unbekannten Größen dar, daß es unmöglich ist, sie aufzulösen. Sie gibt sich erst 
kund bei Einwirkungen der Außenwelt auf den Menschen und verrät sich durch 
kein besonders erkennbares äußerliches Körperverhalten. Ein körperlich starker 
Mensch kann gegen eine bestimmte Schädlichkeit überempfindlich, ein 
schwacher dagegen unter- oder sogar unempfindlich sein.
Die persönliche Eigenart schafft auch jene regelwidrigen Verlaufsarten von 
Vergiftungskrankheiten, die, da sie einmal möglich sind, keine Voraussage 
gestatten
Quelle:
Prof. Dr. med. Louis Lewin (Berlin Mai 1928):
Gifte und Vergiftungen : Lehrbuch der Toxikologie 
Mit 41 Figuren und einer farbigen Spektraltafel
6. Aufl. - Heidelberg : Haug 1992
ISBN 3-7760-1286-2