von Lucca » Mittwoch 16. September 2009, 21:26
Auch eine gute Info zum Weitergeben an Behörden, Ärzte, etc.
PALL, M. (2007) Explaining "Unexplained Illnesses". Disease Paradigm for Chronic Fatigue Syndrome, Multiple Chemical Sensitivity, Fibromyalgia, Post-Traumatic Stress-Disorder, Gulf War Syndrome and Others, 446 p., 39.95 $, Harrington Park Press/The Haworth Press, Inc.) New York, London, ISBN 978-0-7890-2399-9.
Das Krankheitsbild der Multiplen Chemikalien-Sensitivität (MCS) als chronische Multisystem-Erkrankung
Etwa 1-3 % der Bevölkerung leiden unter schweren, aber unerklärlichen Beschwerden, die eindeutig mit einer Chemikalienbelastung in Zusammenhang stehen: chronische Erschöpfung, andauernde Müdigkeit, schwere Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Gedächtnisstörungen, Depressionen, akute Uberempfindlichkeitsreaktionen auf Schad- und Fremdstoffbelastungen, Kreislaufstörungen, allgemeines und schweres Schwachegefühl. Die Krankheitverläufe sind andauernd und so schwer, dass Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität stark eingeschränkt sind. Folge für die Betroffenen ist in der Regel der Ausschluss aus dem Berufsleben, sozialer Abstieg und gesellschaftliche Isolation.
Die vielfaltigen Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien und Forschungsarbeiten, die von Martin Pall, Professor fur Biochemie an der Washington State University in Pullman, USA, zusammengetragen wurden, setzen sich wie bei einem Puzzle zu einem chronischen Krankheitsmechanismus zusammen, bei dem Signalwege an bestimmten Rezeptoren im zentralen und peripheren Nervensystem beginnen und in einer kausal begründbaren Kette von Reaktionen zu einem biochemischen Entzündungmechanismus führen, der schließlich die Krankheitsymptome ausprägt. Es handelt sich also um eine echte somatisch bedingte chronische Krankheit, deren Symptome von Teilen des Nerven-, Hormon- und Immunsystems ausgeprägt werden. Die bislang üblichen Standardtests der Labordiagnostik reichen nicht aus, um die Mechanismus dieser Krankheiten zu erkennen. Die neuen Erkenntnisse erfordern demnach eine erhebliche Ausweitung labordiagnostischer Testverfahren, um die genannten chronischen Beschwerden zu erfassen,
Marin Pall hat in seinem Fachbuch weit über 2000 Artikel zusammengefasst. Danach gehören die Multiple Chemikalien-
Uberempfindlichkeit (MCS) neben dem Chronischen Mudigkeitssysdrom (CFS, Chronic Fatigue Syndrome), dem Posttraumatischen Stress-Syndrom, dem so genannten Golkriegssyndrom und der Fibromylagie zu den chronisch entzündlichen Multsystem-Erkrnakungen, deren Mechanismus weitgehend augeklärt ist und im Wesentlichen übereinstimmt. Im weiteren Umkreis dieser chronischen Krankheiten sind auch Rheumatische Erkrankungen, darunter die entzündliche Arteriosklerose mit den Folgen Herzinfarkt und Schlaganfall, sowie einige Autoimmunerkrankungen des Nervensystems (Multiple Sklerose, Alzheimer, Parkinson-Krankheit) zu nennen, bei denen der Krankheitsmechanismus weitgehend ähnlich verläuft, und bei denen Chemikalien in zunehmendem Masse eine die Krankheit fordernde Rolle spielen. Diese chronischen Krankheiten unterscheiden sich lediglich in den Stressoren, die am Ausgangsmechnismus beteiligt sind.
Bei MCS sind dies zunächst vorwiegend neurotoxische Pestizide und flüchtige organische Kohlenwasserstoffe (VOC), die an besonderen Bindungsstellen (Rezeptoren und Enzymen) in zentralen und peripheren Nervensystem andocken und bestimmte biochemische Signalübertragungswege in den Zellen des Nerven- und Immunsystems auslösen, die schließlich. überempfindlichkeit gegenüber einer Vielzahl von Chemikalien führt.
Die niedrigen symptomauslösenden Konzentration von Fremd- oder Schadstoffen sind durch eine Kombination von etwas 20 verschiedenen Verstärkungsmechanismen auf Grund von positiver Rückkopplung zu erklären, wobei toxische Stoffwechselreaktionen im Metabolismus der Phase I, Vorgänge am NMDA-Rezeptor, neurologische Wirkungen an C-Fasern mit Substanz P-Freisetzung, sowie immunologische bzw. "pseudoallergische" Entzündungprozesse verstärkend zusammenwirken. Letztlich lassen sich die beobachtenden Symptome der Krankheit MCS auf die nunmehr eindeutig identifizierbaren biochemischen Reaktionsmechanismen und Signalketten im neuro-immuno-endokrinen Signalübermittlungssystem des Organismus zurückführen.
Das relativ einfache Modell des NO-ONOO-Zyklus als Krankheitsmechnismus nach Pall steht in einer Reihe mit anderen Paradigmen der Medizin, die für Infektionskrankheiten, genetisch bedingte Krankheiten, Allegien, Autoimmunkrankheiten, Arteriosklerose und deren Folgekrankheiten gelten und dort ebenso schlüssige Krankheitsmechnismen als Grundlage für Diagnostik und Therapie dieser Krankheiten bereit gestellte haben. Das "Pall-Paradigma" liefert nun endlich die Voraussetzung zur gezielten Entwicklung von Methoden der Diagnostik und Therapie der chronischen Multisystem-Erkrankungen und dient als wirksames Instrument zur Auseinandersetzung mit den unbelehrbaren Vertretern der psychogenen Ätiologie von MCS und verwandten umweltbedingten Erkrankungen.
Die Konsequenzen fur die Umweltmedizin und das Gesundheitswesen sind vielfältig: Das Paradigma fordert jeden Verdacht auf MCS und CFS eine umfassende umweltmedizinische Anamnese und Diagnostik - einschließlich der Parameter des zentralen NO-Peroxynitrit-Verstärkungskreislaufs und seiner angeschlossene Signalwege bevor eine abschließende rein psychische oder psychiatrische Diagnose gestellt wird. Gutachter können sich in Zukunft nicht mehr einfach drauf berufen, dass den chronischen Multisytem-Krankheiten wie MCS und CFS keine plausiblen und nachweisbaren Mechnismen zu Grunde lägen. Umweltfaktoren müssen selbstverständlich in jede Anamnese dieser betroffenen Patienten einbezogen werden.
(Ausführliche Informationen beim Rezensenten erhältlich.)
Dr Hans-Ulrich Hill
Diple. Biol. und Fachtoxikologe
Rudolfstr. 9, 65197 Wiesbaden
hans-ulrich.hill@t-online.de
Veroffenticht in Umwelt Medizin Gesellschaft, Heft1, 2008, Seite 81f