von Croft » Sonntag 29. November 2009, 16:37
Axel Köhler-Schnura, Dipl.Kfm.
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Hulda Pankok Gesamtschule
Herr Gniostko (Schulleiter)
Herr Gruschke (stv. Schulleiter)
Brinckmannstr. 16
40225 Düsseldorf
29. November 2009
Offener Brief
Zu dem von der Schulleitung der Hulda-Pankok-Gesamtschule veranlassten Polizeieinsatz gegen
SchülerInnen, die am 18.11.2009 im Rahmen der bundesweiten Bildungsproteste einen Raum der Hulda-
Pankok-Gesamtschule besetzten,
zu der Strafanzeige der Schulleitung gegen „Rädelsführer“ dieser Protestaktion, zur Verurteilung der
Aktion der SchülerInnen durch die Schulleitung in den Massenmedien sowie
zu den Drohschreiben der Schulleitung an Schüler und Schülerinnen, die an der Besetzung
teilgenommen haben, und an deren Eltern.
Sehr geehrter Herr Gniostko,
sehr geehrter Herr Gruschke,
Sie sind Schulleiter bzw. stellvertretender Schulleiter der Hulda-Pankok-Schule. Sie haben uns mit einem in drohendem
Tonfall gehaltenen Schreiben v. 19.11.2009 darüber informiert, dass unsere 19-jährige Tochter „am 18.11.2009
an der Besetzung der Schule teilgenommen hat“. Im einzelnen haben Sie mitgeteilt,
dass Sie zur Beendung des „Sitzstreiks“ einen Polizeieinsatz veranlasst haben,
dass „die Fehlstunden ... dementsprechend gewertet“ werden und
dass im Widerholungsfall „weitere Maßnahmen im Rahmen des Schulgesetzes“ zur Anwendung gelangen.
Wir alle - insbesondere Sie als PädagogInnen und wir als Eltern - wissen, dass die Bildung zunehmend wirtschaftlichen,
einzig auf Profit ausgerichteten Interessen unterworfen wird. Ebenso wissen wir alle, welch’ verheerenden Konsequenzen
das für die SchülerInnen, die zukünftigen StaatsbürgerInnen, und die gesamte Gesellschaft hat. Wir ersparen
uns hier, all das zu wiederholen, was dazu seit Jahren umfangreich in den Medien erörtert wird; insbesondere, was
Ihr Berufsstand dazu alles an Klugem verlautbart hat.
Wir alle wissen, in welch’ verheerend skandalösem Zustand sich die Schulgebäude, der Personalstand und die
Organisation des Unterrichtes befinden. Auch an Ihrer Schule.
Und ebenso wissen wir - Sie als PädagogInnen und wir als Eltern - um all das Bedauern, das mehr oder weniger
lautstark beklagt, dass niemand sich diesen sich ständig verschlechternden Verhältnissen, der Ausrichtung auf Elite,
auf kurzfristig verwertbares Wissen, auf Egoismus, Gefühlskälte, Entsolidarisierung etc. entgegen stellt“.
Welcher Haltung und vor allem welcher Pädagogik entspringt es, wenn Sie als Schulleiter bzw. stellvertretender Schulleiter
gegen SchülerInnen und StudentInnen, die im Rahmen der bundesweiten Proteste von Jugendlichen Abhilfe
für die skandalösen Zustände im Bildungssystem fordern und am 18.11. einen Raum Ihrer Schule besetzten, ein
Räumungskommando der Polizei in Gang setzten, Strafanzeige gegen „Rädelsführer“ erstatteten und mit
Drohschreiben an SchülerInnen und Eltern Disziplinarmaßnahmen verhängen („Die Fehlstunden sind unentschuldigt
und werden dementsprechend gewertet“)´und Angst zu verbreiten suchen?
Mit Erziehung zu „mündigen BürgerInnen“, mit den Idealen von Humanismus und Gerechtigkeit, mit gelebter Demokratie
und der Ermutigung zu Zivilcourage hat das nichts zu tun. Sie reagieren auf die nur allzu berechtigten Proteste
der Kinder und Jugendlichen mit übermächtiger Repression. Sie bestrafen das Engagement, das die SchülerInnen
in lobenswerter und bewunderungswürdiger Weise in unser aller, auch in Ihrem, Interesse gezeigt haben, mit Strafund
Drohmaßnahmen. Sie kriminalisieren demokratisches Engagement.
Ihnen ist es dabei auch egal, ob eine martialisch in Reih und Glied in Ihrer Schule aufmarschierende Polizeitruppe
traumatisierende Wirkungen auf SchülerInnen hat und unverantwortbare Angstzustände auslöst. Sie haben es auch
zu verantworten und zugelassen, dass die Jugendlichen - wie auf den Fotos in der Rheinischen Post klar zu erkennen
ist - von der Polizei gefilmt wurden und damit in den obskuren Datenbanken der Sicherheitsbehörden landen.
Das alles ist nicht nur empörend. Es ist eine beispiellos repressive, entmündigende, unterdrückende, ethische und
moralische Werte auslöschende Pädagogik. Genau die Pädagogik, die die „neoliberale Elite“ wünscht, um eine entmündigte
Bevölkerung von willfährigen Jasagern und rücksichtslosen Egoisten zu schaffen.
Es ist öffentlich nachzulesen, was in den letzten Jahren vonstatten geht. Der reichste Mann der Welt, der Multimilliardär
Warren Buffett, lässt im Jahr 2006 in einem Interview der New York Times an Deutlichkeit und Klarheit
nichts zu wünschen übrig: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die
Krieg führt, und wir gewinnen.“
Der CDU-Politiker Heiner Geisler sagte in in der Fernsehsendung „Razzien und Randale – Wie weit dürfen Staat
und Demonstranten gehen?“ von Maybrit Illner am 31. Mai 2007 „Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist nicht
konsensfähig und zutiefst undemokratisch, es muss ersetzt werden durch eine neue Wirtschaftsordnung.“
Und BDI-Präsident Rogowski brachte es im Jahr 2004 in Phönix so auf den Punkt „Es ist ein Klassenkampf, und es
ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist“.
Kinder und Jugendliche, die sich am Bildungsstreik beteiligen, leisten Großes. Sie erheben ihre Stimmen und verleihen
den berechtigten Forderungen mit ihren Schul- und Hochschulbesetzungen Nachdruck. Sie sind diejenigen, die
die Demokratie und die pädagogischen Werte verteidigen und hochhalten. Sie zeigen Mut, indem sie aus dem ihnen
auferlegten Alltag ausbrechen und sich für ihre Interessen einsetzen.
Sie hingegen, als leitende Pädagogen Ihrer Schule geben ein trauriges Bild ab. Sie kämpfen nicht nur, wie es Ihnen
anstünde, sie solidarisieren sich nicht, wie Sie müssten, Sie unterstützen den Einsatz der Jugendlichen nicht, wie es
von Ihnen zwingend zu erwarten ist. Nein, Sie bestrafen den engagierten Einsatz der Jugend und versuchen gar, ihn
zu unterdrücken. Sie stellen sich auf die Seite der zitierten neoliberalen Kräfte, sind in erschreckender Weise undemokratisch
und verraten ihren pädagogischen Auftrag. Sie sind in die skandalöse Entwicklung des Bildungssystems
verwickelt, tragen Mitverantwortung zumindest in der Weise, dass Sie sich nicht entschieden dagegen stellen. Und
nun maßen Sie sich an, diejenigen zu maßregeln, die die Opfer dieser Entwicklungen sind. Es geht bei den
Bildungsstreiks nicht um Ihre und auch nicht um unsere Lebensbedingungen, es geht um die Zukunft der Jugend,
um deren Lebens- bzw. Bildungsbedingungen.
Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit den Kindern und Jugendlichen, die sich im Rahmen der Bildungsstreiks für
ihre Interessen engagieren. Wir verurteilen Ihr Handeln und fordern Sie auf, die Maßnahmen zurückzunehmen und
sich bei den Kindern und Jugendlichen (und bei uns Eltern, die Sie mit Ihrem Schreiben ebenfalls angegangen sind)
öffentlich dafür zu entschuldigen.
Wir fordern unsere Miteltern und alle die sich angesprochen fühlen, auf, sich dieser Solidarisierung mit den für ihre
Rechte und Interessen eintretenden Jugendlichen und Kindern anzuschließen und den Protest gegen repressive
Maßnahmen gegen sich im Bildungsstreik engagierende Jugendliche nach Kräften zu unterstützen. Unterzeichnen
Sie diesen Offenen Brief, beschweren Sie sich individuell, wo immer Sie können, teilen Sie den Kindern und Jugendlichen
Ihre Unterstützung mit, ermutigen Sie die Kinder und Jugendlichen zu Zivilcourage und Einsatz für die
eigenen Interessen.
Mit freundlichen Grüßen
gez.
Axel Köhler-Schnura Christiane Schnura