PCB-Fall bei Remondis totgeschwiegen

PCB-Fall bei Remondis totgeschwiegen

Beitragvon Kira » Mittwoch 5. Oktober 2011, 09:57

http://www.derwesten.de/nachrichten/im-westen/PCB-Fall-bei-Remondis-totgeschwiegen-id5130411.html

Dortmund/Lünen. Im PCB-Skandal um die Giftfirma Envio hat die Bezirksregierung Arnsberg der Staatsanwaltschaft wiederholt Akten vorenthalten, die die Aufsichtsbehörde belasteten. Das belegen Recherchen der WAZ. Sie decken auch einen weiteren PCB-Fall auf: Strafanzeigen und Ermittlungen gegen den Lüner Entsorger Remondis, die bisher verschwiegen wurden.


Neue Schlampereien, neue Unwahrheiten, neue Vertuschungen: Die Bezirksregierung Arnsberg gerät im Umgang mit dem Gift PCB stärker unter Druck. Nach WAZ-Recherchen hat die Behörde einen weiteren PCB-Fall beim Entsorger Remondis in Lünen verschwiegen. Dort ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf unerlaubte Entsorgung von PCB-verseuchten Trafos. Nicht einmal das Umweltministerium erfuhr davon. Zudem hat die Bezirksregierung der ermittelnden Staatsanwaltschaft im Fall Envio wiederholt Akten vorenthalten.

Bereits am 5. November 2010 tauchte die Kripo bei der Bezirksregierung Arnsberg auf. Sie stellte Beweismaterial sicher. Den Ermittlern seien „sämtliche Unterlagen“ zum Fall Envio ausgehändigt worden, versicherte der verantwortliche Hauptdezernent Joachim Schmied in einer Vollständigkeitserklärung. Die Wahrheit war das nicht.


Akten tauchen erst nach WAZ-Bericht auf
Nachdem die WAZ anhand von Unterlagen aus der Bezirksregierung ein Versagen der Behörde im Umgang mit dem PCB-Skandal enthüllte, erkannte die Staatsanwaltschaft, dass dort die zitierten Akten unbekannt waren. Zögerlich meldete Hauptdezernent Schmied von der Bezirksregierung ein „Büroversehen“, einige Akten seien wohl übersehen worden und müssten nun nachgereicht werden.

Die Papiere aus der Versenkung haben es in sich. Sie belegen die Mitschuld der Aufsichtsbehörde am bundesweit größten PCB-Skandal, an 350 vergifteten Menschen und an einem verseuchten Firmengelände im Dortmunder Hafen. Diese Akten enthalten Chroniken der PCB-Transporte zu Envio, nationale wie internationale Lieferungen. Darin aufgelistet sind Zehntausende von Tonnen Giftmüll, die die Skandalfirma niemals hätten erreichen dürfen.

Chaos erschrickt Ermittler
Ermittlungsergebnisse, die der WAZ vorliegen, belegen, dass Envio nicht einmal „nennenswerte Mengen“ an Arnsberg vorbeischleusen musste. Eine Giftmüllwelle nach der anderen schwappte auf das Envio-Gelände – die Bezirksregierung griff nicht ein. Nicht bei Tausenden Tonnen PCB-Schrott, der aus halb Europa, Asien und Südamerika herangekarrt wurde. Nicht bei 8500 Tonnen ultraverseuchter UTD-Trafos, die der Großlieferant K+S vier Jahre lang aus seiner Giftgrube in Herfa-Neurode ausbuddelte und illegal lieferte. Nicht bei jahrelangen Überschreitungen der maximalen Giftmüllkapazität, die für Envio galt. Warum das „bei der Aufsichtsbehörde nicht bemerkt oder beanstandet wurde, bedarf gesonderter Betrachtung“, heißt es im Ermittlungsbericht. Und die ermittelnde Staatsanwältin notierte: Die Bezirksregierung vermittele „nicht den Eindruck, dass man einen klaren Überblick über die noch vorhandenen bzw. bereits zur Verfügung gestellten Unterlagen habe.“

Remondis im Visier

Auch ein weiterer PCB-Fall wurde nicht offensiv aufgeklärt. Im Zuge der Envio-Ermittlungen geriet der Lüner Entsorger Remondis ins Visier. Ein Kripobeamter fertigte Anfang Dezember 2010 eine Strafanzeige. Der Verdacht: „nicht genehmigte Bearbeitung/Entsorgung von PCB-haltigen Abfällen“. Die Staatsanwaltschaft ermittelte. Das Verfahren betreffe allerdings nur „fünf PCB-haltige Transformatoren“, die bei Remondis „trockengelegt wurden“, so eine Sprecherin. Die Bezirksregierung habe erklärt, das sei „von der Genehmigung gedeckt“. Auf die Frage, ob auch ungenehmigter Giftmüll bei Remondis behandelt wurde, sagt die Staatsanwaltschaft: „Einzelne Abweichungen von einem zugelassenen Verfahren zur Behandlung gefährlicher Abfälle sind keine Straftat.“

Weitere
Strafanzeige
Nach WAZ-Recherchen liegt gegen Remondis eine weitere Strafanzeige vor, wegen „illegaler Lagerung von Stoffen“. Die Staatsanwaltschaft bestätigt das. Der Fall ist seit einem halben Jahr aktenkundig. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft den Anzeigenerstatter bisher nicht gehört. Warum nicht und wie es weitergeht, dazu sagt die Behörde nichts. Was aus dem Verfahren werde, sei offen.

Remondis gibt sich ahnungslos. Gegen den Entsorger sei „kein Ermittlungsverfahren anhängig“, sagt eine Sprecherin. Über den Giftmüllskandal, den die Lüner Firma 1998/99 – damals noch unter dem Namen Rethmann – schrieb, verliert sie auch auf Nachfrage kein Wort.

Auch über Rethmann „keine Unterlagen“
Dabei gibt es auffallende Schnittmengen. Auch damals war PCB im Spiel: Zehntausende Tonnen Giftmüll wurden bei Rethmann verbrannt. Auch damals ermittelte die Staatsanwaltschaft. Und auch damals spielte Joachim Schmied, der Aktenvergesser im Fall Envio, eine Rolle. Bei der Bezirksregierung war er ab 2000 für Rethmann zuständig. Schon damals tat er sich schwer mit Akten. „Was vor 2000 war“, sei „schwierig zu rekonstruieren, da es dazu keine Unterlagen gibt“, wird Schmied in einer Akte des Umweltministeriums zitiert.

Das Umweltministerium weiß weder von Strafanzeigen noch von Ermittlungen gegen Remondis.
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(Jupp Müller, deutscher Schriftsteller)

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