Prof. Henningsen hält Kongressvorträge zu MCS
84. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie mit Fortbildungsakademie
28.09.2011 - 01.10.2011
Somatoforme und Dissoziative Störungen
Donnerstag, 29. September 2011, 12:30 - 13:00
"Postborreliose, Chronic Fatigue und Multiple Chemical Sensitivity
P. Henningsen (München)
Die drei im Titel genannten Syndrome wirken auf den ersten Blick heterogen. Auf den zweiten lassen sich aber folgende Gemeinsamkeiten feststellen: Patienten, bei denen von Ärzten und z.T. in der Selbsthilfe- und Laienpresse derartige Syndrome diagnostiziert werden, klagen über unspezifische vorwiegend körperliche Beschwerden wie Erschöpfung, Schmerzen und Funktionsstörungen; das jeweilige Erklärungsmodell (chronische Borrelieninfektion, übermäßige Empfindlichkeit auch gegenüber unterschwelligen Chemikalien etc.) ist wissenschaftlich unklar bzw. umstritten, Psychosomatiker und Psychiater betonen die Nähe bzw. Zugehörigkeit derartiger Syndrome zu den somatoformen bzw. funktionellen Störungen. Im Vortrag sollen die drei Syndrome unter diesem Blickwinkel auf ihre Gemeinsamkeiten besprochen werden.............
Auch beim Thema Chronic Fatigue (CFS) und Multiple Chemical Sensitiviy Syndrom (MCS) finden sich jeweils Verfechter einer organischen - immunologischen bzw. toxikologischen - Erklärungstheorie unter Ärzten, allerdings scheint es sich hier um eine geringere Zahl zu handeln als beim Thema Chronischer Borreliose, das mit größerer Verunsicherung bezüglich möglicher infektiologischer Ursachen einherzugehen scheint.
Rein epidemiologisch spricht vieles dafür, dass das MCS-Syndrom viele Überlappungen mit CFS und anderen klassischen funktionellen Syndromen hat. In entsprechenden Studien zeigt sich, dass z.B. Patienten mit einem Fibromayalgiesyndrom in 55% auch die Kriterien eines MCS-Syndroms erfüllen (Aaron und Buchwald 2001), umgekehrt erfüllten Patienten mit MCS in einer neuen Studie in mindestens 68% auch die Kriterien eines Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) bzw. in 49% die Kriterien eines Fibromyalgie-Syndroms (Nogué Xarau et al. 2010). In einer anderen neuen Studie erfüllten 40% der Patienten mit MCS, FMS oder CFS die Kriterien von mehr als einem Syndrom, sie waren stark beeinträchtigt, 68% waren nicht mehr arbeitsfähig (Lavergne et al 2010).
Soweit Patienten mit MCS, und das gleiche gilt für Patienten mit chronischer Borreliose und mit CFS, überhaupt bereit sind, sich auf psychotherapeutische Behandlungsansätze einzulassen, entsprechen die Handlungsempfehlungen besonders für die Initialphase denen, die heute auch sonst für Patienten mit somatoformen/ funktionellen Störungen gelten: Akzeptanz für die Beschwerden und das Erklärungsmodell des Patienten, Fokus auf Bewältigung statt auf Heilung, Erweiterung des Erklärungsmodells hin zu einem bio-psycho-sozialen, Verzicht auf frühzeitige Psychologisierung etc..(Henningsen et al. 2007). Ähnlich wie in der Psychotherapie mit körperlich Kranken geht es also nicht darum, eine Psychogenese der Beschwerden zu unterstellen und Psychotherapie als Bearbeitung ursächlicher psychischer Konflikte und Belastungen zu konzipieren, sondern als Hilfe bei der Bewältigung beeinträchtigender Körperbeschwerden.
Entscheidend für einen gelingenden Umgang mit derartigen Patientengruppen ist es aber zu allererst, rechtzeitig an die Möglichkeit zu denken, dass es sich um ein Problem aus dem Bereich funktioneller Störungen handeln könnte, um dann das eigene Handeln entsprechend darauf einstellen zu können."
http://registration.akm.ch/einsicht.php?XNABSTRACT_ID=133106&XNSPRACHE_ID=1&XNKONGRESS_ID=143&XNMASKEN_ID=900
28.09.2011 - 01.10.2011
Somatoforme und Dissoziative Störungen
Donnerstag, 29. September 2011, 12:30 - 13:00
"Postborreliose, Chronic Fatigue und Multiple Chemical Sensitivity
P. Henningsen (München)
Die drei im Titel genannten Syndrome wirken auf den ersten Blick heterogen. Auf den zweiten lassen sich aber folgende Gemeinsamkeiten feststellen: Patienten, bei denen von Ärzten und z.T. in der Selbsthilfe- und Laienpresse derartige Syndrome diagnostiziert werden, klagen über unspezifische vorwiegend körperliche Beschwerden wie Erschöpfung, Schmerzen und Funktionsstörungen; das jeweilige Erklärungsmodell (chronische Borrelieninfektion, übermäßige Empfindlichkeit auch gegenüber unterschwelligen Chemikalien etc.) ist wissenschaftlich unklar bzw. umstritten, Psychosomatiker und Psychiater betonen die Nähe bzw. Zugehörigkeit derartiger Syndrome zu den somatoformen bzw. funktionellen Störungen. Im Vortrag sollen die drei Syndrome unter diesem Blickwinkel auf ihre Gemeinsamkeiten besprochen werden.............
Auch beim Thema Chronic Fatigue (CFS) und Multiple Chemical Sensitiviy Syndrom (MCS) finden sich jeweils Verfechter einer organischen - immunologischen bzw. toxikologischen - Erklärungstheorie unter Ärzten, allerdings scheint es sich hier um eine geringere Zahl zu handeln als beim Thema Chronischer Borreliose, das mit größerer Verunsicherung bezüglich möglicher infektiologischer Ursachen einherzugehen scheint.
Rein epidemiologisch spricht vieles dafür, dass das MCS-Syndrom viele Überlappungen mit CFS und anderen klassischen funktionellen Syndromen hat. In entsprechenden Studien zeigt sich, dass z.B. Patienten mit einem Fibromayalgiesyndrom in 55% auch die Kriterien eines MCS-Syndroms erfüllen (Aaron und Buchwald 2001), umgekehrt erfüllten Patienten mit MCS in einer neuen Studie in mindestens 68% auch die Kriterien eines Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) bzw. in 49% die Kriterien eines Fibromyalgie-Syndroms (Nogué Xarau et al. 2010). In einer anderen neuen Studie erfüllten 40% der Patienten mit MCS, FMS oder CFS die Kriterien von mehr als einem Syndrom, sie waren stark beeinträchtigt, 68% waren nicht mehr arbeitsfähig (Lavergne et al 2010).
Soweit Patienten mit MCS, und das gleiche gilt für Patienten mit chronischer Borreliose und mit CFS, überhaupt bereit sind, sich auf psychotherapeutische Behandlungsansätze einzulassen, entsprechen die Handlungsempfehlungen besonders für die Initialphase denen, die heute auch sonst für Patienten mit somatoformen/ funktionellen Störungen gelten: Akzeptanz für die Beschwerden und das Erklärungsmodell des Patienten, Fokus auf Bewältigung statt auf Heilung, Erweiterung des Erklärungsmodells hin zu einem bio-psycho-sozialen, Verzicht auf frühzeitige Psychologisierung etc..(Henningsen et al. 2007). Ähnlich wie in der Psychotherapie mit körperlich Kranken geht es also nicht darum, eine Psychogenese der Beschwerden zu unterstellen und Psychotherapie als Bearbeitung ursächlicher psychischer Konflikte und Belastungen zu konzipieren, sondern als Hilfe bei der Bewältigung beeinträchtigender Körperbeschwerden.
Entscheidend für einen gelingenden Umgang mit derartigen Patientengruppen ist es aber zu allererst, rechtzeitig an die Möglichkeit zu denken, dass es sich um ein Problem aus dem Bereich funktioneller Störungen handeln könnte, um dann das eigene Handeln entsprechend darauf einstellen zu können."
http://registration.akm.ch/einsicht.php?XNABSTRACT_ID=133106&XNSPRACHE_ID=1&XNKONGRESS_ID=143&XNMASKEN_ID=900