interessantes vom Dr. Fabig
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KARL-RAINER FABIG
PRAKTISCHER ARZT
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Fax 040-53047272
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10.08.2003
Anmerkungen für MCS-SHG-Mitglieder
Ich wende mich an Sie, nicht nur weil Sie selbst durch die widersprüchlichen Veröffentlichungen über Ergebnisse der „Multizentrische MCS-Studie“ des Robert Koch-Instituts verunsichert sein könnten, sondern weil auch von einigen beteiligten Wissenschaftler bekannt wurde, dass sie mit der Situation unzufrieden sind. Dies rührt offenbar daher, dass Studienergebnisse der im Internet abrufbaren Langfassung dem entscheidend widersprechen, was in Kurzveröffentlichungen und zuletzt in der Zeitschrift UFP als Ergebnis ausgegeben wurde. So ist von MCS als Somatisierungsstörung die Rede, obwohl in der Langfassung der Studie zu lesen ist, dass es hinsichtlich der Somatisierung keine Unterschiede zwischen den Gruppen gab.
Nun hoffen viele SHG-Mitglieder auf Ergebnisse bei Teilnahme an einer Studie des Universitätsklinikums der RWTH Aachen. Dort befassen sich die Institute für Hygiene und Umweltmedizin (Direktor Prof. Dr. rer. nat. Dott), für Humangenetik (Direktor Prof. Dr. med. Zerres) und Hautklinik (Prof. Dr. med. Merk) mit dem Forschungsschwerpunkt „Einflüsse von genetischen Prädispositionen und Umweltfaktoren auf Erkrankungen des Menschen“, d.h. mit dem MCS-Thema.
Eine der Studien, um deren Teilnahmeeinwilligung Selbsthilfegruppenmitglieder intensiv beworben werden, nennt sich „Untersuchungen zum Einfluss genetischer Faktoren und Umweltfaktoren auf die Entstehung der Vielfältigen Chemischen Empfindlichkeit (Multiple Chemical Sensitivity, MCS)“. Von den selbst rekrutierten Teilnehmern sind zwei Fragebögen auszufüllen.
1. „Fragebogen zu Lebensgewohnheit und Lebensumfeld“ (16 Seiten),
2. „Umweltmedizinischer Fragebogen der UMA Aachen“ (43 Seiten).
Bei den für den Studiengegenstand entscheidenden „Fragen zu möglichen Umweltbelastungen und Beschwerden“ wird alles Mögliche (aus Sicht der Untersucher) befragt. Das Entscheidende wird aber ausgelassen, wahrscheinlich weil es wegen fehlender humanmedizinischer Erfahrung oder theoretischer Unzulänglichkeit nicht bedacht werden konnte. Es fehlen die Fragen nach den „Auslösern“ von Beschwerden, sofern diese unter den Chemikalien zu suchen sind.
Im Zuge der Endabfassung unserer jetzt eingereichten Studie mit dem Titel „Suszeptibility genes in chemical-related sensitivity“ (Autoren: Schnakenberg, Fabig, Strobl, Lustig, Waschütza, Schloot) haben wir uns intensiv mit der Frage der Auslösung beschäftigt. Ich schlug den Ko-Autoren die Einführung eines neuen Begriffes vor. Dieser wurde angenommen, wobei er im Englischen exakter als im Deutschen zu definieren ist:
Der neue Begriff heißt „Sensitizing Capability of Chemicals (SCC)“.
Im Deutschen nennen wir diese Stoff- oder Stoffgruppeneigenschaft „Sensitivierungskapazität“. Es ist eine individuelle Ziffer dafür, wie die „Sensitivierungkraft“ oder „Sensitivierungsfähigkeit“ von Chemikalien empfunden wird.
Im QEESI- oder CAS-Fragebogen sind es die 10 ersten abgestuft beantworteten Items, die den SCC-Score einzeln oder als Summe bestimmen.
Die durch die Fragen erhaltenen SCC-Scores gelten ausschließlich für das betr. Individuum und bekommen erst in der statistischen Auswertung Gruppencharakter.
Die Scores der „Sensitizing Capabilities of Chemicals (SCC)“ sind im Bezug zu den zu untersuchenden Polymorphismen bei MCS das Entscheidende.
Ohne dieses Problem zu erkennen und zu lösen kann es keine relevanten Erkenntnisse über die Ätiologie von MCS geben.
Genau diese Selbsterfahrung-Angabe der „Sensitivierungsfähigkeit“ von Chemikalien wird in der Aachener Studie nicht erfragt. Dies lässt sich nicht wettmachen - eher noch verschlimmern - dadurch, dass nach Begleitumständen und Confoundern gefragt wird, die durch Gruppierungsmöglichkeiten ein Ergebnis unwahrscheinlich machen.
Mit dem Ziel der Vergleichbarkeit der Daten aus den (von mir modifizierten) CAS- oder den damit kompatiblen QEESI-Fragebögen von Claudia Miller hätte man diese Fragen verwenden können, zumal sie schon 1995 bei über 900 Personen validiert wurden. Warum fragen die Aachener, besonders Dr. Wiesmüller, der auch Ko-Autor der RKI-MCS-Widersprüchlichkeiten ist, nicht nach der „Sensitivierungskapazität“ der Chemikalien?
Offenbar soll das Rad neu erfunden werden. Wahrscheinlich wird man sich in aber in Rad(t)losigkeit wiederfinden. Es ist zwar nachvollziehbar, dass SHG-Mitglieder schon einen Schimmer als Hoffnungsschimmer deuten. Dass sie ihre Hoffnungen aber in wissenschaftliche Hilflosigkeit und entfremdete Befunde einbringen wollen, erstaunt doch etwas.
Mit freundlichen Grüssen
Karl-Rainer Fabig
(Vorsitzender des „Ausschuss Umweltmedizin“ der Ärztekammer Hamburg)