Leserbriefe zum Editorial von Th. Eikmann und C. Herr: "Können
Feldhamster wichtiger als Menschen sein? Oder wie Umweltkonflikte
häufig zu Lasten der Bevölkerung entschieden werden"
Umweltmed Forsch Prax 14 (2) 69-70 (2009)
RA Johannes Bohl
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht schrieb:
Si tacuisses, philosophus mansisses!
(UVP) sei und dort eine Gesundheitsverträglichkeitsprüfung
fehle, ist schlicht falsch. Der Stellenwert des gemeinschaftlichen
Artenschutzes folgt vielmehr aus Art. 12 i.V. mit
Art. 16 der FFH-Richtlinie, welche die dort in Anhang IV
aufgeführten, streng geschützten Arten einem weitgehenden
Eingriffsverbot unterstellt und Eingriffe letztlich nur
bei Alternativlosigkeit sowie aus zwingenden Gründen des
überwiegenden öffentlichen Interesses erlaubt. Die UVP
hat in diesem Zusammenhang weder eine bewertende noch
eine sonst (vor-)entscheidende Funktion (insoweit sei auf
die geradezu "gebetsmühlenartige" Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen). Das Wettern gegen
die UVP gehört deshalb in diesem Zusammenhang in
die Kategorie niederbayerischer Stammtischparolen.
Im übrigen ist gerade das "Schutzgut Mensch" der entscheidende
Grund, warum nach den Maßstäben des Art. 16 der
FFH-Richtlinie sehr häufig gleichwohl Eingriffe in den Lebensraum
der streng geschützten Arten erfolgen. Umgehungsdie Menschen vor lärmintensivem Durchgangsverkehr
bewahren sollen, sind der Regelfall für die Rechtfertigung
eines solchen Eingriffs, wie bereits der Blick in Art.
16 der FFH-Richtlinie deutlich macht.
Dass gleichwohl in der uninformierten Bevölkerung (und
bei Eikmann/Herr) der Eindruck entsteht, die streng geschützten
Arten würden Projekte verhindern oder verzögern, hat
seine Ursache aber vorrangig darin, dass entweder eine
Auseinandersetzung mit dem Artenschutz nicht stattfindet
oder aber die gemeinschaftsrechtlich geforderten "Ausgleichsmaßnahmen"
(in diesem Zusammenhang ist dieser Begriff
nicht völlig richtig) nicht freiwillig erfüllt werden. Hier geht
es nämlich darum, das letztlich Eigentümern mit ihren Wertund
Nutzungsinteressen des Bodens "auf die Füße getreten
werden muss". Dieses Opfer ist aber weder der Einzelne
noch die Allgemeinheit so einfach bereit zu tragen.
Soweit Eikmann/Herr weiterhin FFH-Gebiete (= gemeinschaftlicher
Gebietsschutz) anführen, ist das Problem wiederum
nicht die Geringschätzung der Schutzinteressen des
Menschen, sondern der Umstand, das diese Gebiete zuvor
in einem meist "quälenden" Prozess den gegenläufigen Eigentums-
und Nutzungsinteressen abgerungen wurden. Es
ist nur schwer verständlich, warum diese "Reservate" von
höchstem Rang abschließend geopfert werden sollen. Hätte
man das nicht bei den entsprechenden Gebietsausweisungen
früher berücksichtigen können?
Der Vorbehalt, die "bösen" Naturschützer würden den Stellenwert
des Menschen nicht achten, ist ebenfalls falsch.
Gerade in Bayern vertritt der Bund Naturschutz (= Landesverband
des BUND) die Politik, Umgehungsstraßen regelmäßig
nicht zu bekämpfen, weil sie den Lärmschutzinteressen
des Menschen dienen.
Jedoch muss die kritische Nachfrage erlaubt sein, wieso
der Verkehrslärm als fast schon ubiquitäres Phänomen ausgerechnet
durch ein Mehr an Straßen bekämpft werden
soll. einen Alkoholiker wird man auch nicht mit Alkoholeinflößung
behandeln, oder?
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass auf eine Petition
einer gemeindlichen Fraktion aus Unterfranken hin der
Bayerische Landtag im Jahre 2007 die Auswirkung des
Feldhamsterschutzes auf Projekte und Planungen untersucht
hat. Dabei wurde festgestellt, dass in keinem einzigen derartigen
Projekt der Schutz des Feldhamsters ein Projekt
oder eine Planung in Bayern verhindert oder wesentlich
verzögert hat. So viel zu den Fakten!
Ich interpretiere den Beitrag von Eikmann/Herr dahingehend,
dass sie den Verkehrslärm an Durchgangsstraßen
für gesundheitlich bedenklich halten. Diese Einschätzung
begrüße ich ausdrücklich! Ich muss gleichwohl drauf hinweisen,
dass sich Eikmann/Herr damit gegen die herrschende
Ansicht der Lärmwirkungsforschung sowie die gesetzgeberische
Bewertung in der 16. BImSchV sowie die Rechtsprechung
zur sog. "Enteignungsschwelle" stellen. Es ist eine
Merkwürdigkeit des deutschen Rechts, dass der Verkehrslärm
gerade meist nicht gesundheitsgefährdend sein soll.
Ein Blick in die 16. BImSchV oder auch die sog. "Synopse"
zum Fluglärm für den Verkehrsflughafen Frankfurt sei empfohlen!
Ich würde mit eine Auseinandersetzung mit diesen
Bewertungen wünschen!
Ich will die Kompetenz von Eikmann und Herr zu umweltmedizinischen
Fragen nicht in Zweifel ziehen. Für Fragen
der Fachplanung und des Natur- und Artenschutzes hingegen
gilt: Si tacuisses, philosophus mansisses!
RA Johannes Bohl
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Franz-Ludwig-Straße 9
97072 Würzburg
Antwort Eikmann/Herr:
Abschließende Stellungnahme der Autoren
Die Autoren bedanken sich zunächst sowohl bei Frau Franke
als auch Herrn Bohl für ihre fachlich fundierten und
engagierten Diskussionsbeiträge. Es muss vorweg jedoch
noch einmal ganz deutlich gemacht werden, dass wir in
unserem Editorial natürlich keinen juristischen Fachdiskurs
im Planungs- und Verwaltungsrecht führen wollten
und konnten, sondern dass wir vielmehr auf eine – auch
umweltmedizinisch bedeutsame – weiterhin aktuelle Problematik
hinweisen wollten, die bei den Betroffenen häufig
über sehr lange Zeiträume zu Wut und großem Leidensdruck
führt. Gerade als umweltmedizinische Gutachter mit
langjähriger Erfahrung in verschiedenen Planungsverfahren
und Bewertungen war es uns ein besonderes Anliegen,
hierauf noch einmal hinzuweisen. Erstaunlich ist jedenfalls
die ins Auge fallende Diskrepanz zwischen den von Herrn
Bohl umfassend dargestellten juristischen Möglichkeiten,
das Schutzgut Mensch bei entsprechenden Planungsverfahren
angemessen zu berücksichtigen, und den gegebenen
Realitäten, die auch aus eigener Erfahrung den Menschen
häufig noch als Schutzgut zweiter Klasse dastehen
lassen. Auch wenn von Frau Franke bei dem Auftreten von
entsprechenden Konflikten nur von "Einzelfällen" gesprochen
wird, so können wir aus eigener Erfahrung dies leider
so nicht nachvollziehen. Ein Blick ins Internet, in dem sich
die Betroffene mit ihren Sorgen und Ängsten heute ja selber
präsentieren, unterstützt uns eher in unserer Auffassung.
Die Auffassung von Herrn Bohl, dass wir lediglich "den
Verkehrslärm an Durchgangsstraßen für gesundheitlich bedenklich
halten" reduziert die von uns in dem Editorial
umfassend dargestellten Belastungen der Bevölkerung durch
Feinstaub (PM), Stickstoffdioxid (NO2) und weitere Luftschadstoffe
durch den Straßenverkehr auf nur einen Teilaspekt
dieser vielfältigen Belastungen. Diese Auffassung
unterstreicht noch einmal die weit verbreitete Unterschätzung
der erheblichen Einwirkung der Emissionen aus dem
Straßenverkehr auf die betroffenen Personen. Interessanterweise
zeigen neueste Untersuchungen eine sehr enge Korrelation
(r = 0,6) der individuellen Langzeitexposition gegenüber
Straßenverkehrslärm (> 50 dBA) mit der durch
den Straßenverkehr verursachten Luftschadstoff-Belastung.
Außerdem konnte bei den lärmbelasteten Personen im Vergleich
zu einer Referenzgruppe ein erhöhtes Herzinfarkt-
Risiko nachgewiesen werden, unabhängig von der gleichzeitig
bestehenden Luftschadstoff-Belastung (Selander et
al., Epidemiology 20: 272-279, 2009). Das erhöhte Risiko
für Herzkreislauf-Erkrankungen im Einwirkungsbereich
von stark befahrenen Straßen ist damit nicht nur auf die
höhere Luftschadstoff-Belastung (durch PM) zurückzuführen,
sondern zumindest auch durch die stärkere Lärmbelastung
der Bevölkerung mit zu erklären.
Frau Franke weist zu Recht darauf hin, dass der Bau von
Umgebungsstraßen durchaus zu Nachteilen für die dann
betroffene Bevölkerung führen kann. Auch wir halten die
so genannten "weichen Faktoren", wie die Erholungsfunktion
von intakter Natur und Kulturlandschaft für wichtige
Einflussfaktoren für das Wohlbefinden der betroffenen Personen
und ihre sich daraus ergebende Lebensqualität. Weitere
nachteilige Einflüsse wie unmittelbares Wohnen an einer
Schallschutzwand sind sicherlich auch nicht unbedingt
erstrebenswert, aber aus Sicht der Prävention nicht immer
unbedingt vermeidbar. Die Suche nach einem neuen Joggingweg
halten wir allerdings doch für eine zumutbare
Angelegenheit. Grundsätzlich soll hier aber noch einmal
angemerkt werden: Aus umweltmedizinischer Sicht sollte
die Verlagerung des Verkehrs aus einem hoch belasteten
Bereich nicht nur zum Vorteil für die bis dato belasteten
Personen führen, sondern auch nicht zum Nachteil für die
dann unter Umständen neu betroffene Bevölkerung gereichen.
D.h. die Gesundheitsverträglichkeitsprüfung (GVP)
darf natürlich nicht nur in Hinsicht auf die Verbesserung
der Situation im bisher verkehrsbelasteten Bereich erfolgen,
sondern sie muss vielmehr auch verhindern, dass für die
von der Verlagerung betroffenen Personen erhebliche Nachteile
entstehen. Gerade hier ist ihre Anwendung aus unserer
Sicht unbedingt erforderlich.
Das Ziel des Editorials war zum einen, auf die aus unserer
(umweltmedizinischen) Sicht ungleichgewichtigen Berücksichtigung
von Schutzgütern (nicht nur in Planungsverfahren)
im Umweltbereich hinzuweisen, und zum anderen
auf die allgemein unzureichende Beachtung der erheblichen
gesundheitlichen Belastung der Bevölkerung im Einwirkungsbereich
stark befahrener Straßen aufmerksam zu machen.
Herr Bohl macht zu Recht auf die lang andauernden
"quälenden Prozesse" aufmerksam, die aus welchen Gründen
auch immer häufig in Planungsverfahren auftreten, die
aber der betroffenen Bevölkerung schwer zu vermitteln und
wegen ihrer Länge aus umweltmedizinischer Sicht nicht
akzeptabel sind. Auf jeden Fall sind die vorliegenden fundierten
Erkenntnisse über die nachteiligen Wirkungen des
Straßenverkehrs (durch Schadstoffe und Lärm) auf die Gesundheit
der Anwohner inzwischen so gravierend, dass sie
bei Planungsverfahren ein sehr viel stärkeres Gewicht als
bisher bekommen müssen. Das heißt nicht, dass die Verkehrsvermeidung
als zweitrangiges Ziel abgetan werden
sollte oder ein "Mehr an Straßen" zu erkämpfen sei, sondern
vielmehr, dass rascher Handlungszwang auf einer pragmatischen
Ebene erforderlich ist.
Wenn also – wie von Herrn Bohl empfohlen – die Autoren
geschwiegen hätten, dann hätten wir uns vielleicht juristisch
"korrekt" verhalten, wären aber mit Sicherheit einer
drängenden umweltmedizinischen Problematik nicht gerecht
geworden. Der Schutz des viel gescholtenen Feldhamsters
ist uns gleichwohl ebenfalls ein wichtiges Anliegen,
schon weil er uns immer sehr geholfen hat, die notwendige
Aufmerksamkeit für das "Schutzgut" Mensch zu gewinnen.
Cessante causa cessat effectus (Fällt die Ursache fort, entfällt
auch die Wirkung)
Impavidi progrediamur (Unverzagt wollen wir vorwärts schreiten)
Prof. Dr. med. Thomas Eikmann
Prof. Dr. med. Caroline Herr
http://www.ecomed-medizin.de/sj/ufp/Pdf/aId/10899