Die Behandlung des CFS bei Kindern und Jugendlichen
Dr. David S. Belltop, Übersetzung Katrin Frey
Vorbemerkung der Redaktion CFS-Forum:
CFS bei Kindern und Jugendlichen ist in Deutschland nicht bekannt. Die Diagnose wird selten gestellt. Wenn dieses der Fall ist, so gibt es für die Erkrankten und ihre Familie kaum medizinische Unterstützung. Besonders gravierend sind die Probleme, die in der Familie und in Bezug auf Schule oder Ausbildung entstehen. Dazu bereitet der Fatigatio e.V. eine Broschüre vor, die von einer Gruppe englischer Experten geschrieben worden ist. Wir würden gern Betroffene bzw. deren Familien miteinander in Kontakt bringen, um Erfahrungen zu sammeln und auszutauschen. Auch suchen wir Ärzte, vor allem Kinderärzte, die entweder Fälle von pädiatrischen CFS kennen und behandeln oder die sich für dieses Thema interessieren.
Wenn Sie Interesse am Thema oder an einer Zusammenarbeit haben, melden Sie sich bei der Redaktion CFS-Forum!
Das Chronische Erschöpfungssyndrom (CFS) bei Erwachsenen ist (in den USA, Anm. der Redaktion) allgemein anerkannt. Weniger bekannt ist, dass auch Kinder und Jugendliche an CFS erkranken können. CFS ist bereits bei Kindern von gerade 5 Jahren festgestellt worden. Eine australische Studie berichtet von 5,5 CFS-Fällen pro 100 000 Kinder bis zum Alter von 9 Jahren und von 47,9 Fällen pro 100 000 Kinder im Alter von 10-19 Jahren. Frühes Erkennen und Behandeln des pädiatrischen CFS ist (in den USA, Anm. der Redaktion) zwar Bestandteil der ärztlichen Grundversorgung, aber es erschwert die Diagnosestellung, dass die Krankheit sich bei Kindern oft anders darstellt als bei Erwachsenen.
Symptome
Es scheint zwei Muster für den Beginn des CFS bei Kindern zu geben: allmähliches oder unspezifisches Auftreten der Symptome, für gewöhnlich bei Kindern im Alter von 5-12 Jahren, und akuter Beginn der Symptome, meist in Fällen, bei der CFS im Jugendalter beginnt.
Wie auch beim CFS im Erwachsenenalter gehören Halsweh, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Reizdarmsyndrom, Verschlechterung des Zustandes nach Anstrengung, Schlafstörungen, Lichtempfindlichkeit und Einschränkung der Konzentration und des Gedächtnisses zu den Symptomen. Bei kleinen Kindern beginnt die Symptomatik des CFS meistens mit Kopfschmerzen oder Reizdarm-Symptomen.
Die kognitiven Störungen bei CFS äußern sich in verminderter Konzentrationsfähigkeit, Verlust des Kurzzeitgedächtnisses und Verwirrung und werden bei Kindern eventuell mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADD) verwechselt. Die Symptome sind wohl auch deshalb schwer zu erkennen, weil Kinder nicht so viel Erfahrung mit der Einschätzung ihrer eigenen kognitiven Fähigkeiten haben wie Erwachsene.
CFS-Patienten im Kindesalter geben oft zahlreiche Symptome des gleichen Schweregrades an, aber die Symptome selbst wechseln. Ein Kind kann zum Beispiel über Halsweh und Kopfschmerzen klagen, dem am nächsten Tag schmerzhafte Lymphknoten und abdominale Beschwerden folgen. Durch Aufzeichnen der geschilderten Symptome in der Sprechstunde kann ein Gesamtmuster erkennbar werden.
Das Erstellen eines solchen Beschwerdemusters kann jedoch dadurch erschwert werden, dass es Kindern manchmal schwer fällt, Veränderungen in ihrem Energiehaushalt wahrzunehmen und dadurch, dass vor allem sehr kleine Kinder nicht in Worte fassen können, was sie erleben. Manche an CFS erkrankten Kinder empfinden sich selbst nicht als krank, weil ihnen ein Vergleich zu normaler Gesundheit fehlt.
Diagnose
Die Diagnose des CFS stützt sich ausschließlich auf das klinische Bild: Anmerkung Tohwanga 2010: es stehen nun auch Blutmarker zur Verfügung, sodas CFS serwohl objektiviert werden kann. Es gibt ein charakteristisches Muster körperlicher Symptome (vgl. CDC-Definition von 1994), überlagert von ungeklärter Erschöpfung, welche die normale Aktivität einschränkt. Andere mögliche Gründe für die Symptome sollten durch Laboruntersuchungen ausgeschlossen werden, aber das bei weitem effektivste Mittel zur Diagnose, wenn ein CFS vermutet wird, ist das Erstellen einer Aktivitätsskala oder das Führen eines Tagebuches, welches das gesamte durchschnittliche Aktivitätsniveau des Kindes wiedergibt. Das Aktivitätsniveau eines Kindes mit CFS ist deutlich reduziert, obwohl es nach außen hin als normal erscheinen kann.
So nimmt ein CFS-krankes Kind vielleicht an einer Sportveranstaltung am Wochenende teil (es spielt z. B. Fußball) und erscheint deshalb gesund. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass sich das Kind, das Fußball gespielt hat, für den Rest des Tages und meist auch am nächsten Tag ausruhen muss.
Der Schulbesuch ist der wichtigste Indikator, sowohl für die Schwere des kindlichen CFS als auch für die weitere Entwicklung. Bei milden Symptomen des CFS kann das Kind den ganzen Tag am Unterricht und vielleicht sogar an Sportstunden teilnehmen, aber es wird verstärkt unter Erschöpfung leiden und wohl öfter Ruhepausen brauchen. Mäßiges CFS erlaubt Teilzeitunterricht ohne Sportstunden oder Sportveranstaltungen; das Kind benötigt jedoch zusätzliche Ruhezeiten am Abend. Bei schweren Formen von CFS kann der Schulbesuch unmöglich sein und ein angemessener Wissensstand sollte durch Privatunterricht zu Hause aufrechterhalten werden. Es ist auch wichtig, das Aktivitätsniveau am Wochenende und während der Sommerferien mit dem während der Schulwoche zu vergleichen. Wenn Kinder berichten, dass sie sich in den Ferien besser fühlen, wird das oft als Zeichen von Schulangst bewertet. Es kann aber auch daran liegen, dass ihnen weniger anhaltende Aktivitäten abverlangt werden. Das Messen des Aktivitätsniveaus dient dem Ausschluss bzw. der Abgrenzung von Schulängsten und Depressionen. Depressive Kinder fühlen sich nicht übermäßig erschöpft und schwach. Ein CFS-krankes Kind ist am Wochenende oder während der Schulwoche gleichermaßen inaktiv oder es reduziert seine Aktivitäten in seiner Freizeit.
Behandlung
Langzeitstudien zeigen, dass 8% bis 47% der Kinder mit CFS genesen; bei 27% bis 46% bessert sich das Befinden; bei 12% bis 29% bleiben die Beschwerden unverändert und bei 6% bis 17% haben sich die Beschwerden bis zur Nachuntersuchung verschlimmert.
Bei pädiatrischem CFS ist es wichtig, langfristige Behandlungspläne aufzustellen, die alle Aspekte des Alltags berücksichtigen, was auch Maximierung des kindlichen Aktivitätsniveaus, Unterstützung bei Ängstlichkeit und Aufrechterhaltung einer altersgemäßen Schulbildung einschließt.
CFS-kranken Kindern, die nur begrenzt oder gar nicht an schulischen Aktivitäten teilnehmen können, fehlen wichtige Entwicklungsmöglichkeiten. Man sollte sie deshalb ermutigen, soziale Kontakte mit Sport oder Spiel zu verbinden, wann immer es ihnen körperlich möglich ist. Auch die Ängste der pädiatrischen Patienten sollten berücksichtigt werden. Kinder mit CFS glauben manchmal, sie hätten AIDS oder Krebs oder müssten sterben. Auch befürchten sie, jede weitere Aktivität könne den eigenen Zustand verschlechtern, so dass soziale Kontakte und andere Unternehmungen, die für die kindliche Entwicklung wichtig wären, vermieden werden. Indem man diese Ängste beruhigt, hilft man den Kindern, besser mit ihrer Erkrankung zurechtzukommen.
Es ist wichtig, dass schwerer betroffene CFS-Patienten, die sich über 24 Stunden nicht länger als 4 Stunden auf den Beinen halten können, Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Schule und sozialen Aktivitäten entwickeln.
Auch wenn medikamentöse Behandlungen die Symptome der Krankheit lindern können, gibt es keine Hinweise darauf, dass damit der Gesamtverlauf der Erkrankung verkürzt werden kann. Dem medizinischen Personal sollte bewusst sein, dass Kinder mit CFS oft ungewöhnlich auf Medikamente reagieren. Deshalb sollte man niedere Dosierungen ausprobieren und diese schrittweise bis zur angemessenen Menge steigern.
Wenn das Kind Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen hat, können Antihistaminika in geringer Dosierung helfen. Bei schwereren Fällen können niedrige Dosen trizyklischer Antidepressiva erforderlich sein.(3) Anmerkung Tohwanga 2010: Es ist bekannt, das Antidepressiva, Psychopharmaka kontrainduziert sind und die Situation verschlimmern.
Kopfschmerzen können auch mit milden Schmerzmitteln wie Paracetamol oder Ibuprofen behandelt werden.
Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass orthostatische Intoleranz (OI) *(1) eine Rolle bei CFS im Erwachsenenalter spielen kann. Bei Kindern wird dies zurzeit untersucht. Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Beschwerden bei CFS-kranken Kindern möglicherweise weiter verbreitet sind als bei CFS-kranken Erwachsenen.
Symptome wie Benommenheit und kurze Bewusstlosigkeit nach Lageänderung können bei Kindern oft durch eine Erhöhung der täglichen Trinkmenge und des Salzkonsums gebessert werden. Bei Jugendlichen kann die Gabe von Mineralkortikosterioden und Betablockern angezeigt sein.(4)
Wenn die Erschöpfung mit einem erniedrigten Serotoninspiegel einhergeht, können selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Fluoxetin (Prozac) und Sertralin (Zoloft) hilfreich sein.
AUS DER PRAXIS
Pädiatrisches CFS wird oft als Schulangst, Angststörung oder Depression missverstanden. Wird die richtige Diagnose nicht gestellt, kann das für das Kind zu Isolation, Unsicherheit und familiärem Stress führen. Für die Stellung der Diagnose CFS kann es hilfreich sein, sowohl dem Schulbesuch des Kindes und seinem Aktivitätsniveau Beachtung zu schenken als auch die in der Sprechstunde geschilderten Beschwerden systematisch zu erfassen.
Bestimmung des Aktivitätsniveaustoptop
Fragebogen
Aktivität Anzahl der Stunden
Schlafen _________
Ausruhen, ohne zu schlafen _________
leichte Aktivitäten im Sitzen oder Liegen (fernsehen, lesen, usw.) _________
mäßige Aktivitäten zu Hause (Privatunterricht, Lernen, Mahlzeiten usw.) _________
Mäßige Aktivitäten außer Haus (Schulbesuch, laufen, einkaufen) _________
Anstrengende Aktivitäten (Bewegung, Sport, usw.)
Gesamt _________
Der typische Tag eines gesunden Kindes läßt sich grob in 12 Stunden Aktivität und 12 Stunden Ruhe unterteilen. CFS-kranke Kinder sind üblicherweise weniger als 8 Stunden aktiv, ohne anstrengende Aktivitäten. Bei schweren Fällen des pädiatrischen CFS beträgt die Tagesaktivität üblicherweise weniger als 4 Stunden.
Erste vorsichtige Schritte im Umgang mit der Erkrankung sind, deren Schwere zu bewerten, eine Verlaufskurve der Symptome zu erstellen und zu einer allmählichen Steigerung der Aktivitäten zu ermutigen3. Da viele der CFS-typischen Symptome auch im Frühstadium anderer Erkrankungen vorkommen können, ist deren regelmäßige Neubewertung wichtig.
Wie auch bei anderen chronischen Krankheiten ist der Arzt oft gefordert, als Anwalt des Patienten zu handeln. Er muss sowohl medizinische als auch psychische Auswirkungen berücksichtigen und für die Patienten, deren Familien und das Personal in der Schule Informationen und Weiterbildung anbieten.
Je mehr Unterstützung der Arzt in allen Stadien eines pädiatrischen CFS anbietet, desto besser werden seine Therapievorschläge angenommen.
Literatur:
1) Lloyd A. et al. Prevalence of Chronic Fatigue Syndrome in Australian population. Med J Aust. 1990; 153:522-528
2) Bell D. Chronic Fatigue Syndrome in children and adolescents: a review. Focus & Opinion: Peds.1995; 1: 412-420
3) Lapp C. Management of chronic fatigue in children: a practicing clinicians approach. J CFS. 1997; 3: 59-76
4) Stein M. Twelve-year-old-girl with chronic fatigue; school absence, and fluktuating symptoms. J Dev Behav Pediatr. 1998; 19: 196-20
Zum Autor:
Dr. med. David S. Bell beschäftigt sich als Arzt für Kinderheilkunde seit 1985 mit CFS. Er ist zusätzlich zur Arbeit in seiner Praxis an verschiedenen amerikanischen Universitäten tätig und Leiter des \"Department of Pediatrics\" am Medina Hospital, New York. Er ist ein international bekannter Experte , dessen besonderes Interesse der Situation von Kindern und Jugendlichen mit CFS gilt, und Autor mehrerer Bücher; u.a. \"The Disease of a Thousand Names (1991), \"The Doctors Guide to Chronic Fatigue Syndrome\"(1994) und \"A Parents Guide to CFS\" (1999).
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Aus: The CFS Research Review, 2000, Vol.1, Issue 4;
Herausgeber: The CFIDS Association of America
PO Box 220398, Charlotte NC 28222, USA
Homepage: http://www.cfids.org
* (1)
1.2 Orthostatische Intoleranz
Definition und Häufigkeit. Orthostatische Intoleranz ist ein Syndrom unbekannter Ätiologie. charakterisiert durch einen symptomatischen überschiessenden Herzfrequenzanstieg im Stehen, Die Definition der Orthostatischen Intoleranz beinhaltet einen Herzfrequenzanstieg im Stehen von über 30 Schlägen/min bei fehlender orthostatischer Hypotonie in Verbindung mit hyperadrenergen Symptomen im Stehen, die seit mehr als sechs Monaten bestehen. Typischerweise findet sich ein Anstieg der Plasma-Noradrenalin-Konzentration auf über 600 pg/ml im Stehen. Dies wurde von einigen Autoren als weiteres diagnostisches Kriterium vorgeschlagen. Orthostatische Intoleranz kann damit von anderen Störungen des autonomen Nervensystems, wie Autonomem Versagen oder neurokardiogenen Synkopen, abgegrenzt werden. Orthostatische Intoleranz ist eine häufige Erkrankung, die hauptsächlich junge Frauen betrifft und mit Einschränkungen der Lebensqualität und beträchtlicher Morbidität einhergeht. Orthostatische Intoleranz ist die häufigste Diagnose in Zentren, die auf Erkrankungen des autonomen Nervensystems spezialisiert sind. Wegen der unspezifischen Symptome werden viele Erkrankungsfälle vermutlich nicht diagnostiziert oder als psychosomatische oder psychiatrische Störungen verkannt. Eine hohe Dunkelziffer ist wahrscheinlich. Es wird geschätzt, dass ungefähr 500.000 US-Amerikaner von Idiopathischer Orthostatischer Intoleranz betroffen sind. Schätzungen für Deutschland liegen nicht vor. Das Fehlen eines umfassenden Verständnisses der Pathophysiologie, sowie die unspezifischen Symptome haben dazu beigetragen, dass verschiedene Synonyme für Orthostatische Intoleranz existieren, daneben gibt es eine Überlappung mit zahlreichen anderen Syndromen (Tabelle 1). Bisherige Therapieansätze können die Beschwerden nur unzureichend beeinflussen.
Quellen:
http://www.fatigatio.de/index.php?id=128
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/schroeder-christoph-2003-01-20/HTML/Schroeder-ch1.html
- Editiert von Tohwanga am 08.12.2010, 09:55 -