Wirtschaft
Ölplattformen in der Nordsee
"Eine Katastrophe kann jederzeit passieren"
Eine Ölplattform des norwegischen Energiekonzerns Statoil steht in der Nordsee vor Norwegens Küste. In der Nordsee gibt es mehrere Hundert Ölplattformen. Viele sind über als 20 Jahre alt. Von Jakob Schlandt
Berlin - Die Ölförderung in der Nordsee ist ein schmutziges Geschäft. 450 Öl- und Gasplattformen haben dort unterirdische Vorkommen angebohrt, mehr als 10 000 Kilometer Pipeline transportieren die gewonnen Rohstoffe an die Küste. Gerade ist dabei wieder einmal etwas schiefgegangen: Seit dem 10. August strömte bei der Bohrinsel Gannet Alpha Öl ins Meer. Fast 1 600 Barrel Öl (je 159 Liter), so gab Betreiber Shell am Freitag bekannt, sind bereits ins Wasser gelangt. Ein 6,7 Quadratkilometer großer Ölteppich hatte sich 185 Kilometer vor der schottischen Küste gebildet, ist nun aber schon deutlich geschrumpft.
Shell behauptet, dass ein wichtiges Ventil geschlossen, die lecke Stelle am Rohrsystem nun isoliert und der Vorfall damit beherrschbar sei. Ob der Ölkonzern das Problem in den Griff bekommt, wird sich zeigen. Über die Ursache ist noch nichts bekannt. Doch Probleme in der Nordsee und im Nordatlantik sind kein Einzelfall. Das zeigen schon die Statistiken der Ospar, einem Zusammenschluss von Nordsee-Anrainerstaaten, die den Naturraum schützen soll und die Ölindustrie überwacht. Demnach gab es 2008, dem jüngsten ausgewerteten Jahr, 491 Öllecks im Nordostatlantik einschließlich Nordsee. 2007 waren es 515, zuvor 510. Im Jahr 2000 zählte die Ospar 722 Lecks.
Meist geht die Sache glimpflich aus. Das letzte größere Unglück geschah 2007: Beim Beladen eines Tankers im Ölfeld Statfjord vor Norwegen gelangten rund 22 000 Fass Öl in die Nordsee. Eine dramatische Ölpest so wie im vergangenen Jahr Jahr im Golf von Mexiko hat es noch nicht gegeben. Doch Umweltschützer sind der Auffassung, dass das möglich wäre. „Ein katastrophaler Unfall mit dramatischen Folgen für das Ökosystem Nordsee kann jederzeit passieren“, sagt der Meeresbiologe und Nordseebeobachter Jörg Feddern von Greenpeace. „Das ergibt sich allein aus der Betrachtung der Beinahe-Unfälle der vergangenen Jahre.“
“Glückliche Umstände“
So bekam der staatliche norwegische Ölkonzern Statoil die Riesen-Bohrinsel Gullfaks C im Mai 2010 beinahe nicht mehr unter Kontrolle. Die norwegische Aufsicht kam in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass ein fataler Blowout, also das unkontrollierte Ausströmen von Öl und Gas, nur durch „glückliche Umstände“ vermieden worden sei. Erst durch den Abschlussbericht zum Deepwater-Horizon-Unglück im Golf von Mexiko wurde in der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass Shells Nordsee-Bohrinsel Sedco 711 Ende 2009 ebenfalls in einen schweren Vorfall verwickelt war. Nur der Blowout-Preventer, das Sperrventil am Meeresboden, das bei der Deepwater-Horizon versagt hatte, konnte verhindern, dass das Unglück eskalierte.
Riskante Bohrungen und Tankerunglücke sind nach Ansicht von Experten das größte Risiko für die Nord- und Ostsee. Doch über ein Jahr nach dem Deepwater-Horizon-Unglück gibt es immer noch keine Beschlüsse über strengere Sicherheitsvorkehrungen. Die Ospar teilte auf Anfrage mit, erst im kommenden Jahr sei mit Ergebnissen einer Untersuchung zu rechnen. Die EU hat ebenfalls noch kein neues Regelwerk zustande gebracht.
Doch auch die Alterung der Anlagen wird zu Gefahr. Steffen Bukold, der Chef des unabhängigen Fachdienstes EnergyComment, sagt: „Die Infrastruktur zur Ölgewinnung in der Nordsee stammt zu großen Teilen aus den 80er- und 90er-Jahren. Viele Anlagen sind also älter als 20 Jahre.“ Das Ölfeld Gannet wurde 1992 erstmals angebohrt, 1997 ging die Bohrung Gannet F in Betrieb, deren Verbindungsrohr zur Bohrinsel nun Leck geschlagen hatte. Jörg Feddern von Greenpeace vermutet, dass auch bei Shells Leck Materialermüdung eine Rolle gespielt haben könnte.
In der Nordsee wird schon bald eine riesige, ungenutzte aber gefährliche Energie-Infrastruktur vor sich hin rotten. Die Vorräte an Öl und Gas in der Nordsee gehen langsam zur Neige. Schon jetzt hat sich die Produktion gegenüber dem Höhepunkt nahezu halbiert. Die Förderschwerpunkte verlagern sich deshalb immer weiter nach Norden, in den Nordostatlantik und auch arktische Gewässer – wo das Wasser tiefer und kälter ist. Damit sinkt die Beherrschbarkeit, die Umweltrisiken steigen. Im Süden hingegen, vor Großbritannien zum Beispiel, bringen viele Gebiete nur noch einen Bruchteil der einst erreichten Ölmengen. Bukold sagt: „Die Demontage und umweltgerechte Entsorgung wird Milliarden kosten.“
Schmutziger Normalbetrieb
Die Aufregung um die geplante Versenkung der Brent Spar, einen schwimmenden Öltank von Shell, hat immerhin dafür gesorgt, dass ausgediente Ölinfrastruktur nicht einfach in der Nordsee versenkt werden darf. Das beschloss die Ospar 1998. Doch inzwischen hat sich ein neues Problem ergeben: der Weiterverkauf alter Anlagen an kleine Ölunternehmen. Ein Ölmulti wie Shell mag unsympathisch sein. Aber immerhin hat Shell viel zu verlieren. Jedes Umwelt- ist auch immer ein PR-Desaster, das den Absatz an den Tankstellen empfindlich treffen kann. Zweitens verfügen die Ölmultis über tiefe Taschen. Es war noch ein Glück im Unglück, dass BP die Ölpest im Golf von Mexiko ausgelöst hatte. Der Konzern zahlt mehrere Dutzend Milliarden Dollar für die Beseitigung und Kompensation der Schäden.
Doch in der Nordsee werden nun viele Vorkommen und Bohrinseln weiterverkauft, beobachtet Steffen Bukold: „Zum Teil verkaufen die großen Ölkonzerne die Felder an kleinere Firmen weiter, die auf die Ausbeutung bald erschöpfter Lagerstätten spezialisiert sind. Diese Firmen weisen eine deutlich niedrigere Kapitalausstattung aus.“
Unfälle sind natürlich die größte Gefahr für die Nordsee. Doch Greenpeace engagiert sich auch gegen die ständige, legale Verschmutzung der Nordsee durch die Ölindustrie. Mehr als 5 000 Tonnen Öl gelangten 2008 laut Ospar durch den „Normalbetrieb“ ins Wasser. Hauptsächlich handelt es sich dabei um mit Öl und Chemikalien versetztes Bohrwasser. Die alten Anlagen in der Nordsee, so Jörg Feddern von Greenpeace, leiteten besonders viel Gift ins Meer. „Dabei ist es nur eine Kostenfrage, diese Mengen an Land sicher zu entsorgen.“ Die Ölindustrie lobbyiere jedoch mit vollem Einsatz, um das zu verhindern.
Berliner Zeitung, 22.08.2011
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wirtschaft/355608/355609.php